Wir.Hier. magazin. 2023 Q4

I N T E R V I E W der Branche. Gemessen an den im ersten Halbjahr 1.300 Neugründungen in allen Sparten ist das aber extrem wenig. Warum ist das so? Welche Probleme bremsen die Chemiegründer? Chemie-Start-ups haben oft einen viel längeren Weg zum Erfolg als etwa IT-Firmen. Gründer wie Bill Gates oder Steve Jobs, die einst am Rechner in der Studentenbude oder einer Garage mit einer neuen Software oder App loslegten, konnten rasch mit ihren Erfindungen auf den Markt. Gründer in der Chemie dagegen müssen neue Chemikalien und Produkte registrieren lassen, ein Herstellungsverfahren entwickeln, dafür Anlagen bauen und behördlich genehmigen lassen, berichtet Denise Schütz-Kurz, Referentin für Innovation beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Das alles kann zehn Jahre oder mehr dauern und erfordert enorm viel Kapital.“ Viele Geldgeber im Start-up-Geschäft aber möchten möglichst rasch Rendite erwirtschaften. Daher meiden sie junge Chemiefirmen. Das zeigt sich auch in Zahlen: Von den Investitionen der Jahre 2019 bis 2021 flossen laut der ZEW-Studie satte 4,3 Milliarden Euro an Gründerfirmen in Informations- und Kommunikationstechnik. Chemie- und Material-Erfinder sammelten nur magere 14 Millionen Euro ein. Experte Rammer: „Zwei Drittel der Chemie-Start-ups fehlen Finanzierungsmittel.“ Das bremst sie enorm. VCI fordert industriepolitischen Neustart Geldspritzen holen sich die Firmen deshalb vielfach über Förderprogramme von Bund, Ländern oder der EU. Die Firma CompActive in Neustadt an der Weinstraße etwa entwickelt, gefördert vom Bundesforschungsministerium, für die Autoindustrie raumsparende Lüftungsklappen. Mit Kapital beteiligen sich auch Fonds, private Investoren („Business Angels“) sowie Mäzene wie beispielsweise der SAP-Mitgründer und Fußballförderer „Gründerfirmen tragen dazu bei, dass Neues eine Chance bekommt“ Jedes Teammuss in die Pitch-Arena Mit der Chemovator GmbH unterstützt der Chemiekonzern BASF angehende Gründer aus den eigenen Reihen. Der Geschäftsinkubator ist seit fünf Jahren aktiv und will sich nun für Gründer außerhalb des Konzerns öffnen. Er ist eine BASFTochter, hat neun Mitarbeiter und einen Bürobau in Mannheim. Wie Startups von ihm profitieren, erklärt Geschäftsführer Markus Bold. Herr Bold, wieso brauchen Gründer aus der BASF am Anfang ein schützendes Umfeld? Die kreativen Köpfe kommen aus dem Labor, der Anlage oder der ITAbteilung. Dann haben sie eine Geschäftsidee. Die ist oft sehr risikobehaftet und passt nicht ins Kerngeschäft der BASF. Die Mitarbeiter sind aber noch keine Unternehmer. Wir bieten ihnen in der Frühphase ein geschütztes Umfeld, in dem sie ihre Idee auf Herz und Nieren testen können. Und wir helfen mit Know-how. Kann da jeder kommen? Oder gibt es eine Auswahl? Alle BASF-Mitarbeiter können antreten. Am Anfang gibt es immer einen Pitch. In unserer Pitch-Arena muss jedes gründungswillige Team seine Idee in zehn Minuten vorstellen. Dann muss es sie gegen die bohrenden Fragen einer Jury 20 bis 30 Minuten verteidigen. Wer überzeugt, den nehmen wir auf. Bisher war das bei 30 von 300 Teams der Fall. Dann geht die Arbeit los? Genau. Das Gründerteam entwickelt mit unserer Unterstützung die Idee Schritt für Schritt weiter. Welche Experten braucht man noch? Wer sind die möglichen Kunden? Wie sieht das Marketing aus? Wöchentlich gibt es Besprechungen mit erfahrenen Start-up-Unternehmern zu allen wichtigen Aspekten: wie man einen Vertrag aufsetzt, einen Geschäftsplan macht, die Firma organisiert, Prozesse validiert oder welche Gesetze zu beachten sind. Und wie sieht die Bilanz nach fünf Jahren aus? Bisher haben wir 30 Teams aufgenommen. Fünf Unternehmen haben wir ausgegründet, drei agieren jetzt innerhalb der BASF und acht Teams durchlaufen gerade unser Förderprogramm. Bei den restlichen Teams hat es nicht geklappt, etwa weil das Team nicht funktioniert hat oder es keinen Markt für das Produkt gab. Nennen Sie mal zwei erfolgreiche Teams. Nehmen wir das Start-up Corbiota. Das liefert Würmer für die Hühnerzucht. Dieses Futter sorgt für eine gesündere Darmflora bei den Tieren, sie brauchen weniger Antibiotika. 2022 ausgegründet baut Corbiota jetzt die Vertriebsteams aus. Und die Firma Replique bietet einen 3-D-Druck-Service für Ersatzteile an, etwa für Mähdrescher. 80 zertifizierte Produktionspartner weltweit drucken die Teile und schicken sie rasch zum Kunden. Replique druckt für Unternehmen wie Alstom, Miele oder Siena Garden. Sie wollen jetzt auch externe Teams aufnehmen. Genau. Aktuell steht die Chemieindustrie vor gewaltigen Herausforderungen: Umbau zur klimaschonenden Produktion, Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft. Da braucht es Innovationen. Als Inkubator für alle Ideen aus der Chemie können wir viel bewegen. M A R K U S B O L D C H R I S T I A N R A M M E R , P R O J E K T L E I T E R B E I M W I R T S C H A F T S F O R S C H U N G S - I N S T I T U T Z E W 14 J E T Z T O D E R N I E ! G R Ü N D E R Foto: Chemovator GmbH

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