WirHier_magazin_2024-04

PL ÄNE F ÜR EI NE NACHHALTI GE ZUKUNFT Grün denken Klimaneutral bis 2045 Die Unternehmen tun viel, um Emissionen zu reduzieren. Wie weit sind sie schon? Grüne Gestalterin Wie eine Nachhaltigkeitsmanagerin Kollegen motiviert. Wasserstoff Hoffnungsträger für die Energiewende oder viel zu ambitionierte Ziele? v i e r 2 0 2 4 Q4 Die Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz ISSN: 2567-2371

Foto: Florian Lang/IW Medien Der ganze Text ab Seite 6 „Unsere Kunden fordern ein, dass wir nachhaltig werden. Deshalb ist das auch wirtschaftlich der richtige Weg“ EVA OPITZ, LEITERIN DES NACHHALTIGKEITSMANAGEMENTS BEIM CHEMIESPEZIALISTEN BUD ENHE I M Nachhaltige Ideen: Die Chemie ist mitten in der Umsetzung. CHR I S T I NE HAA S leitet die Wir.Hier.- Redaktion. Für diese Ausgabe hat sie eine Nachhaltigkeitsmanagerin getroffen und recherchiert, wie die Chemie klimaneutral werden will. ED I TOR I A L haben Sie auf der Terrasse oder im Garten schon mal Kräuter gepflanzt? Ich habe das fürs kommende Frühjahr fest vor. Schließlich ist es praktisch, Oregano oder Koriander zum Kochen einfach selbst pflücken zu können. Und sie sind eine Futterquelle für Insekten. Die zu unterstützen ist wichtig: Bienen zum Beispiel bestäuben Blüten und ermöglichen, dass Früchte entstehen und Menschen sich gesund ernähren können. Sie wollen noch mehr darüber erfahren, wie Sie mit kleinen Veränderungen nachhaltiger leben? Dann lesen Sie unsere Tipps ab Seite 10. Große Veränderungen in Sachen Nachhaltigkeit hingegen treiben die Chemieunternehmen voran. Sie benötigen viel Energie und viele Rohstoffe, weshalb sie einen großen Anteil am CO2-Ausstoß in Deutschland haben. Doch bis 2045 sollen sie klimaneutral sein – und schon jetzt haben sie viel verändert (Seite 12). Besonders empfehlen möchte ich Ihnen den Text über den Pflanzenwirkstoff-Hersteller Finzelberg aus Andernach, der schon Anfang des nächsten Jahres einen Meilenstein erreicht (Seite 16). Sie verlieren angesichts der vielen Floskeln und Fachbegriffe rund um Nachhaltigkeit langsam den Überblick? Wir als Redaktion haben wichtige Begriffe gesammelt und erklärt (Seite 9). Sollten Sie weitere Fragen haben oder Begriffe vermissen, melden Sie sich unter redaktion@wir-hier.de. Wir erweitern die Online-Version des Texts gern um weitere Erläuterungen! Ich freue mich, von Ihnen zu hören! Liebe Leserinnen und Leser, Foto: makistock – stock.adobe.com Titelfoto: J Studios – gettyimages.com; Foto: Frank Eppler 3 v i e r 2 0 2 4 2 GRÜN DENKEN EDITORIAL

Bei Finzelberg in Andernach und Sinzig helfen die Mitarbeiter, die Artenvielfalt auf dem Firmengelände zu fördern 16 26 30 VOR ORT Verpackungen, Leuchtmittel, E-Zigaretten: Was wird wie entsorgt? 10 Fragen an Claudia Kleinert Foto: photka – stock.adobe.com Foto: Daniel Roth/ IW Medien Foto: Frank Eppler Foto: Stephan Pick Illustration: Freepik, macrovector 10 Tipps für mehr Nachhaltigkeit im Alltag E NGAGE ME NT BEI F I NZE L BE RG Inhalt UNSER THEMA GRÜN DENKEN Gesichter der Chemie Eva Opitz leitet das Nachhaltigkeitsmanagement beim Chemiespezialisten Budenheim. Zahlen, Daten, Fakten Fünf Beispiele, wie man im Alltag Ressourcen und Umwelt schonen kann. Klimaneutralität Was die Unternehmen tun, um Treibhausgasemissionen zu senken. Vor Ort Der Pflanzenwirkstoff-Hersteller Finzelberg setzt auf ein neues Biomasseheizkraftwerk. Interview Was wird aus dem Green Deal? Fragen an Sandra Parthie vom Institut der deutschen Wirtschaft. 06 10 12 16 20 Eva Opitz will ihre Kollegen bei der grünen Transformation bei Budenheim mitnehmen 06 POR T RÄT Energiewende Von Windrädern bis Elektroautos – für sie alle werden Produkte aus der Chemie benötigt. Das Element Wasserstoff: Hoffnungsträger oder nicht? Ratgeber Was in welche Tonne? Tipps zur richtigen Müllentsorgung. 10 Fragen an ... die Wettermoderatorin Claudia Kleinert. Quiz Nehmen Sie an unserem Gewinnspiel teil. 22 24 26 30 31 4 v i e r 2 0 2 4 5 GRÜN DENKEN I NHA LT

Grüne Gestalterin T E X T CHRISTINE HAAS FOTOS FRANK EPPLER Von elektrischen Gabelstaplern bis zu klimafreundlichen Produkten: Eva Opitz treibt bei Budenheim große Veränderungen mit voran. Sie ist Leiterin des Nachhaltigkeitsmanagements. Wie sie Kollegen motiviert und was sie persönlich antreibt Diesmal im Fokus: Eva Opitz bei Budenheim Enger Austausch: Eva Opitz mit Geschäftsführer Stefan Lihl (links) und Gerardo Mendoza, Standortleiter Budenheim Deutschland. v i e r 2 0 2 4 7 GESICHTER DER CHEMIE GRÜN DENKEN 6

Eva Opitz weiß, welche Fragen ihre Kolleginnen und Kollegen bewegen. Was ist der Unterschied zwischen Strom und Energie? Was bedeuten Scope 1, 2 und 3? Und wie können wir unsere Büros umweltfreundlich heizen? Die 38-Jährige hat deshalb ein Glossar angelegt: Viele Begriffe rund um Nachhaltigkeit sind darin enthalten. Zu jedem hat sie erklärt, was genau dahintersteckt. „Ich will die Kolleginnen und Kollegen beim Thema Nachhaltigkeit mitnehmen“, sagt sie. „Sie sollen verstehen, wie wir agieren, und in ihrem Arbeitsalltag selbst entsprechend handeln können.“ Opitz, gelernte Umweltingenieurin, ist für das Nachhaltigkeitsmanagement beim Chemiespezialisten Budenheim verantwortlich. Sie koordiniert, dass in sämtlichen Prozessen immer weniger CO2 verursacht wird. Und zwar nicht nur am deutschen Standort in Rheinland-Pfalz, sondern an allen acht Produktionsstandorten weltweit von den USA bis China. Dafür gestaltet sie die anstehenden Veränderungen zum Beispiel durch die Einführung von Zielvorgaben und konkreten Plänen zur Umsetzung. Es geht um Themen wie den Umstieg auf erneuerbare Energie durch Elektrifizierung bis hin zur großen Strategiefrage: Wie können die Produkte des Unternehmens und seine gesamte Lieferkette nachhaltiger werden? Talk-Format alle drei Monate Weil Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen integriert werden soll, ist Opitz sehr präsent im Unternehmen. Sie berät Teams in allen Geschäftsfeldern und bespricht, wie die dortigen Arbeitsprozesse grüner werden können. Einmal im Quartal organisiert sie einen „Sustainability Dialogue“, bei dem sich alle Mitarbeitenden weltweit online beteiligen und auf Englisch zu einem Fokusthema diskutieren können. Weil bei Budenheim der Wandel zu einem nachhaltig agierenden Unternehmen als große Chance gesehen wird, gehört Stefan Lihl, der Geschäftsführer des Unternehmens, zu Opitz’ wichtigsten Ansprechpartnern. Und ihre „Sustainability Experts“, wie Opitz sie nennt: die Gruppe der Personen, die an den unterschiedlichen Standorten für Nachhaltigkeit zuständig sind. Zu den größten Erfolgen, die Opitz in den vergangenen beiden Jahren gesteuert hat, gehört das Photovoltaik-Programm: Jeder Standort hat geprüft, ob und wie sich vor Ort Solarflächen bauen lassen. Insgesamt sieben Anlagen werden bis Ende des Jahres realisiert. „Ich bin immer noch beeindruckt davon, wie schnell wir den Photovoltaik-Ausbau gemeinsam vorantreiben konnten“, sagt Opitz. Das spanische Werk in El Puig hat bereits vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt; etwa 40 Prozent davon produziert der Betrieb selbst. Am rheinland-pfälzischen Standort sei ein derartiger Anteil an selbst produzierter grüner Energie nicht realisierbar – dafür fehlt es an geeigneten Flächen für Solaranlagen. Doch auch hier gilt das Ziel, künftig ausschließlich grüne Energie zu beziehen. Umgesetzt wird das schon am jüngst errichteten House of Nutrition, einer Produktionsanlage für Säuglingsnahrung und medizinische Ernährung: In dem Gebäude gibt es keine Gasanschlüsse mehr. „Bei unserer Mission geht es darum, Dinge zu hinterfragen“, erklärt Opitz. „Budenheim gibt es seit 1908. Es wäre doch verrückt, wenn heute noch alles so laufen würde wie vor 100 Jahren. Wir entwickeln uns weiter und sichern so langfristig unseren Erfolg.“ Das Team wächst Die Aufgabe der Nachhaltigkeitsleiterin ist extrem komplex. Denn es geht nicht nur darum, den CO2-Verbrauch zu reduzieren und die Lieferketten zu optimieren. Ein großer Teil von Opitz’ Arbeit besteht aus Berichterstattung: Es gilt, gegenüber Behörden und Kunden nachzuweisen, dass Regulierungen eingehalten und Ziele erreicht werden. Dafür müssen große Mengen an Daten erhoben, ausgewertet und Kennzahlen ermittelt werden – etwa Treibhausgasemissionen und Energieverbräuche an allen Standorten weltweit. „Das kann ich selbst mit meinem Vollzeitjob gar nicht schaffen“, sagt Opitz. „Und meine Excelkenntnisse stoßen da auch an Grenzen“, ergänzt sie und lacht. Deshalb wächst ihr Team: Bislang gibt es neben ihr eine Nachhaltigkeitscontrollerin. Nun kommen ein zusätzlicher Nachhaltigkeitsmanager und ein Werkstudent hinzu. Opitz selbst ist direkt nach ihrem Studium in Bingen zu Budenheim gekommen. „Ich wollte in die Chemieindustrie, um von innen heraus etwas zu verändern“, sagt sie. Nach einigen Jahren im Unternehmen hat sie eine berufsbegleitende Weiterbildung als Nachhaltigkeitsmanagerin gemacht. Sie habe sich schon immer für das Thema interessiert, erzählt Opitz. Nachhaltigkeit als Chance Sie weiß, dass die grüne Transformation des Unternehmens den Kolleginnen und Kollegen viel abverlangt. Viele Arbeitsplätze verändern sich, immer wieder gibt es Schulungen. Doch Opitz ist sicher: „Das wird nicht für immer so weitergehen. Irgendwann haben wir die Wende geschafft, und dann gibt es eine neue Normalität.“ Eine Alternative dazu sieht sie nicht: „Unsere Kunden fordern ein, dass wir nachhaltiger werden. Deshalb ist das auch wirtschaftlich der richtige Weg.“ EVA OPITZ LEITERIN NACHHALTIGKEITSMANAGEMENT BUDENHEIM In Gesprächen über Nachhaltigkeit gibt es viele Begriffe, die ständig genutzt werden, aber nicht immer verständlich sind. Wir.Hier. hat einige gesammelt – und erklärt, was dahintersteckt „Bei unserer Mission geht es darum, Dinge zu hinterfragen“ Was heißt eigentlich …? Chemiespezialist Budenheim Budenheim ist ein global tätiges Spezialchemieunternehmen mit Produktionsstätten in Deutschland, China, Mexiko, den USA, Spanien und den Niederlanden. Das Unternehmen bietet nachhaltige Lösungen für vielfältige Anwendungen. Hierzu zählen die Bereiche Ernährung, Gesundheit, Sicherheit und Ressourcenschonung. Budenheim erzielt einen jährlichen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich und beschäftigt mehr als 1.250 Menschen. Treibhausgasemissionen: Gase, die in die Atmosphäre freigesetzt werden und zur globalen Erwärmung beitragen. Kohlendioxid (CO2) ist das bedeutendste Treibhausgas, das durch Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas freigesetzt wird und den Klimawandel treibt. CO2-Äquivalent: Einheit, mit der sich die Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase vergleichbar machen lässt. Dafür wird die Menge eines Treibhausgases in die entsprechende Menge CO2 umgerechnet, die über einen bestimmten Zeitraum dieselbe Erwärmungswirkung hätte. Klima-Kompensation: Zahlungen an emissionsmindernde Projekte, um den Treibhausgasausstoß an anderer Stelle zu mindern. Wenn sich die Emissionen eines Unternehmens nicht vollständig auf null senken lassen, sind Kompensationen ein Weg, trotzdem rechnerisch auf die angestrebte Klimaneutralität zu kommen. Energie vs. Strom: Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, zum Beispiel Bewegung, Wärme oder Licht zu erzeugen. Sie existiert in verschiedenen Formen: mechanische, thermische, chemische, elektrische, Strahlungs- und Kernenergie. Strom ist eine spezifische Form von Energie, nämlich die Bewegung von elektrischer Energie durch Leitungen. Strom wird durch Umwandlung aus anderen Energieformen erzeugt, etwa aus mechanischer Energie in Windkraftanlagen oder aus Strahlungsenergie in Solarzellen. Scope 1–3: Kategorien bei der Erfassung von Treibhausgasemissionen eines Unternehmens. Scope 1 umfasst alle direkten Emissionen, die aus Quellen stammen, die sich im Besitz oder unter der Kontrolle des Unternehmens befinden, zum Beispiel Anlagen, Fahrzeuge oder Kältemittel. Scope 2 bezieht sich auf indirekte Emissionen, die durch den Verbrauch von eingekaufter Energie entstehen, zum Beispiel durch den Stromverbrauch in Büros und Produktion oder Nah- und Fernwärme. Scope 3 bezieht sich auf Emissionen, die außerhalb der direkten Kontrolle eines Unternehmens liegen, aber dennoch durch dessen Aktivitäten verursacht werden, etwa beim Transport von eingekauften Rohstoffen oder bei Geschäftsreisen. G LOS S AR Weitere Begriffe finden Sie online: link.wir-hier.de/begriffe 9 8 v i e r 2 0 2 4 GESICHTER DER CHEMIE GRÜN DENKEN

macrovector –freepik.com Einfach nachhaltig 600 T E X T CHRISTINE HAAS Mit minimalen Veränderungen nachhaltiger durch den Alltag? Das geht. Fünf Beispiele zeigen, wie man ohne viel Aufwand Ressourcen und Umwelt schont Bienen unterstützen Handys zurückgeben und gebraucht kaufen Etwa die Hälfte der heimischen Wildbienen-Arten ist bedroht. Das ist fatal, denn Bienen sorgen mit dafür, dass Pflanzen Früchte tragen – elementar für die Ernährung von Menschen und Tieren sowie für die biologische Vielfalt. „Jeder noch so kleine Garten oder Balkon lässt sich bienenfreundlich gestalten“, erklärt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Für sonnige Plätze eignen sich zum Beispiel Rosmarin oder Lavendel, im Halbschatten gedeihen Waldbeeren oder Kapuzinerkresse, im Schatten Minze. Auch blühende Kräuter wie Oregano und Koriander sind eine Futterquelle für Insekten. Überlegen Sie doch mal, was Sie bei der nächsten Bepflanzung in wenigen Monaten unterbringen können. Mehr Tipps für Ihr bienenfreundliches Beet finden Sie hier: link.wir-hier.de/ bienenfreundlich 87 Prozent der Deutschen haben mindestens ein ausrangiertes Handy. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat errechnet: Würden alle recycelt, ließe sich mit den gewonnenen Materialien, vor allem Metallen, der Bedarf an neuen Smartphones für die nächsten zehn Jahre decken. Abgeben können Verbraucher Elektronikgeräte etwa bei Wertstoffhöfen oder größeren Supermärkten. Funktioniert ein altes Gerät noch, kann sich der Verkauf über Online-Plattformen wie Rebuy lohnen. Das funktioniert natürlich auch umgekehrt: Voll funktionsfähige gebrauchte Geräte gibt es dort günstiger. 1 3 Wildbienen-Arten kommen in Deutschland vor Fast Durchschnittliche Zusammensetzung von Smartphones Illustration: macrovector – freepik.com Illustration: vector4stock – freepik.com Illustration: Freepik – freepik.com Illustration: studiogstock – freepik.com Quelle: IW Quelle: Verbraucherzentrale RLP Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Quelle: Umweltbundesamt 45 % 17 % 32 % 6 % Metalle Kunststoffe Display/Glas Andere 50 % Wasser sparen Ein Sparduschkopf sei eine sinnvolle Anschaffung, betont die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Die Kosten sind mit etwa 20 Euro überschaubar, und das Duscherlebnis verändert sich kaum. Denn: Der sparsame Duschkopf mischt Luft unter und erreicht so einen vollen Wasserstrahl. Wichtig beim Kauf: Auf der Verpackung sollte stehen, dass der Wasserdurchfluss weniger als neun Liter pro Minute beträgt. 4 weniger Warmwasser verbraucht ein Sparduschkopf im Vergleich zu einem herkömmlichen Lebensmittel besser lagern 79 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr wirft jede Person in Deutschland im Schnitt weg. Besonders häufig im Müll landen laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Obst und Gemüse, dahinter folgen zubereitetes Essen sowie Brot und Backwaren. Neben besserer Planung und Resteverwertung hilft: Lebensmittel richtig lagern. Tomaten zum Beispiel gehören nicht in den Kühlschrank, Brokkoli, Erbsen oder Radieschen schon. Zwiebeln und Kartoffeln sollten kühl und dunkel aufbewahrt werden, Brot in einem Kasten oder Tontopf – nicht in einer Kunststofftüte. Mehr Tipps zur richtigen Lagerung: link.wir-hier.de/lebensmittel 2 Lebensmittelabfälle in Deutschland im Jahr 2020 Primärerzeugung 190.000 t 2 % 15 % 7 % 17 % 59 % 1.613.000 t 762.000 t 1.861.000 t 6.496.000 t Verarbeitung und Herstellung Einzelhandel und andere Formen des Vertriebs von Lebensmitteln Gaststätten und Verpflegungsdienstleistungen private Haushalte Quelle: Statistisches Bundesamt 1.800 kg Flugreisen kompensieren Flugreisen und Kreuzfahrten sind besonders umweltschädlich. Wer nicht darauf verzichten möchte, kann die Treibhausgasemissionen zumindest durch Kompensationszahlungen ausgleichen. „Mit diesem Geld werden Klimaschutzprojekte finanziert, in denen die entsprechende Menge an Treibhausgasen eingespart wird“, schreibt das Umweltbundesamt. Anbieter sind zum Beispiel Atmosfair oder MyClimate. Für die Strecke Frankfurt bis Arrecife (Lanzarote) und zurück zum Beispiel fielen laut Atmosfair 48 Euro an. 5 CO2-Äquivalente verursacht ein Flug von Deutschland auf die Kanaren und zurück pro Person Circa 10.922.000 Insgesamt Tonnen 10 v i e r 2 0 2 4 11 GRÜN DENKEN ZAHLEN, DATEN, FAKTEN

DER WEG ZUR KLI MANEUT RALI TÄT Prominenter Besuch: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lobt die Erfolge von Boehringer Ingelheim. In rund 20 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein, und damit auch die Chemie- und Pharmaindustrie. Damit das gelingt, braucht es jetzt Veränderungen. Die Unternehmen selbst treiben viele Projekte voran. Doch das allein wird nicht reichen T E X T CHRISTINE HAAS Der Fortschritt bei Boehringer Ingelheim ist so bemerkenswert, dass in diesem Sommer selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu Besuch kam. Der Pharmakonzern hat sein Biomasseheizkraftwerk in Betrieb genommen – und das sorgt für gewaltige Veränderungen. Pro Jahr werden rund 50.000 Tonnen Treibhausgas (CO2) eingespart. Fast den kompletten Energiebedarf am Standort kann das Unternehmen künftig aus erneuerbaren Quellen decken. Für den Minister zeigt das Beispiel, wie sich globale Klimaziele erreichen und Energieimporte verringern lassen. Klimaneutral werden bis 2045, das müssen Deutschland und die hiesige Chemie- und Pharmaindustrie schaffen. Das heißt: Sie müssen ihre Treibhausgasemissionen auf null reduzieren, die Emission kompensieren oder das CO2 abtrennen und unterirdisch speichern, sodass es nicht wieder in die Atmosphäre gelangt. So sieht es das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vor. Auf diesem Weg haben die Unternehmen bereits große Fortschritte erzielt – und zwar nicht nur Konzerne wie Boehringer Ingelheim, sondern auch kleine und mittelständische Betriebe. Der CO2-Ausstoß der Branche ist massiv zurückgegangen: von mehr als 65 Millionen Tonnen im Jahr 1990 auf 38,9 Millionen im Jahr 2020. Und das, obwohl die Produktionsmengen im selben Zeitraum um 61 Prozent gestiegen sind. Das zeigen Zahlen des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Der Countdown läuft Foto: Boehringer Ingelheim Foto: elxeneize – stock.adobe.com v i e r 2 0 2 4 13 KLIMANEUTRALITÄT GRÜN DENKEN 12

1990 40.000 50.000 60.000 70.000 1995 2000 2005 2010 2015 2020 CO2-Ausstoß von Chemie und Pharma deutlich gesunken in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2020 (in 1.000 Tonnen) Quelle: VCI © Statista 2024 EMISSIONEN Pflanzliche Alternativen: Einige Unternehmen setzen auf nachwachsende Rohstoffe – zum Beispiel Kiefernöl. Der Chemiekonzern BASF kann in Ludwigshafen mit den vorbereitenden Baumaßnahmen für die weltweit leistungsfähigste industrielle Wärmepumpe starten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Projekt mit bis zu 310 Millionen Euro. 2027 soll die Anlage in Betrieb gehen. Die CO2-Emissionen sollen deutlich sinken. Die Anlage werde als erste ihrer Art zur Dampferzeugung eingesetzt, erklärte BASFChef Markus Kamieth. Geplant ist, die Abwärme aus einem der Steamcracker am Standort als Energiequelle zu nutzen. Mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen wird so CO2-freier Dampf gewonnen. Abwärme als Energiequelle MATTHIAS BELITZ, BEREICHSLEITER NACHHALTIGKEIT, ENERGIE UND KLIMASCHUTZ BEIM VCI „Es sind momentan nicht alle Rahmenbedingungen gegeben, damit die grüne Transformation gelingen kann“ Bereichsleiter für Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz beim VCI. Ein gutes Beispiel ist der Strombedarf. Bei den Unternehmen wird er massiv steigen, wenn Prozesse ohne fossile Energien auskommen sollen. Doch bislang gibt es nicht genug grünen Strom. Im ersten Halbjahr 2024 wurden knapp 58 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt, meldete der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Und der Bau der Stromtrassen, über die zum Beispiel Windenergie aus dem Norden zu Betrieben im Süden gelangen soll, kommt nur langsam voran. Ähnliche Hürden gibt es bei Wasserstoff, dem großen Hoffnungsträger der Energiewende (s. Seite 24). Ohnehin hat ein System, das in weiten Teilen auf Wind und Sonne beruht, Schwächen. „Zur Tagesmitte sind erneuerbare Energien in ausreichendem Maß verfügbar, vor allem durch Solaranlagen“, sagt VCI- Experte Belitz. Anders ist es nachts und in Zeiten mit wenig Wind. Kohle- und Gaskraftwerke hingegen liefern konstant Energie. „Durch die Abschaltung der Kohlekraftwerke wird die Erzeugung volatiler“, erklärt Belitz. Dafür hat die Bundesregierung zwar eine Reserve vorgesehen: Sie will 12,5 Gigawatt Leistung hinzufügen – hauptsächlich durch Neubau, aber auch durch die Modernisierung von Bestandsanlagen. Doch der VCI findet das nicht ausreichend. Die vorgesehenen Kapazitäten sind zu gering. Und es dauere zu lange, bis die Kraftwerke, die perspektivisch mit Wasserstoff laufen könnten, in Betrieb gehen. Auch die Kosten sind ein Problem. Schon jetzt zahlen Unternehmen in Deutschland viel mehr für Energie als in China oder den USA. Steuern und vor allem Netzentgelte treiben die Preise hierzulande in die Höhe. Das bringt die Unternehmen hierzulande Kiefernöl statt Erdöl Grundsätzlich gibt es mehrere Möglichkeiten, um den CO2-Ausstoß in der Chemieindustrie zu reduzieren. Zwei der wichtigsten Hebel: erstens, die Energiequelle umzustellen – also auf erneuerbare Quellen wie Sonne, Wind oder Biomasse zu setzen statt auf fossile wie Kohle, Gas oder Öl. Und zweitens, andere Rohstoffe in der Produktion zu nutzen. Neben Recycling und dem Einsatz von CO2 gibt es auch hier Potenzial, grüne Alternativen wie Pflanzen oder Biokunststoffe zu nutzen. Das gilt etwa für den Kunststoffspezialisten Profine aus Pirmasens. Ein wichtiger Baustein für dessen Fensterprofile ist Ethylen. Klassischerweise basiert das auf fossilen Materialien. Das Unternehmen hat es aber geschafft, teilweise auf Ethylen aus dem nachwachsenden Rohstoff Kiefernöl umzusteigen. Das macht es möglich, nachhaltiger zu bauen und zu renovieren. Auch das Familienunternehmen Renolit bietet nachhaltige Kunststoffprodukte an, die einen hohen Rezyklatanteil haben, zu 100 Prozent recycelbar sind oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Ein Beispiel sind Verbundplatten zur Herstellung von Innenverkleidungen im Automotivebereich, die mindestens 50 Prozent nachwachsende Naturfasern enthalten. Und Lohmann aus Neuwied stellt unter anderem Klebstoffe her, die zu 50 Prozent biobasiert sind. Die Prozesse wurden so umgestellt, dass deutlich weniger Energie verbraucht wird. Lohmann stehe an einem entscheidenden Wendepunkt, erklärt Katharina Candia Avendaño, weltweit zuständig für Nachhaltigkeit, auf der Webseite des Unternehmens. Die Branche stehe vor Krisen, die zentrale Entscheidungen für ihre Zukunftsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung erforderten. „In diesem Zusammenhang hat Lohmann erhebliche Investitionen in nachhaltigere Innovationen getätigt.“ Das Unternehmen trage zur Kreislaufwirtschaft bei und entwickle das interne Know-how weiter. Grüne Energie: Versorgung zu unsicher? Für die Branche insgesamt gilt allerdings: Allein kann sie das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen. Selbst wenn die Unternehmen alle Möglichkeiten ausreizen, Prozesse umzustellen, genügt das nicht. Sie sind von äußeren Faktoren abhängig – etwa von der öffentlichen Infrastruktur, von der Verfügbarkeit und den Kosten CO2-armer Energie.„Es sind momentan nicht alle Rahmenbedingungen gegeben, damit die grüne Transformation gelingen kann“, sagt Matthias Belitz, immer mehr unter Druck. Denn ausländische Wettbewerber, die zu geringeren Kosten produzieren, können ihre Produkte in Deutschland und Europa so günstiger anbieten als die heimischen Betriebe. Und für diese wird es gleichzeitig schwieriger, auf anderen Märkten konkurrenzfähig zu bleiben – ein großes Problem für die bislang sehr exportstarke Chemie- und Pharmaindustrie. Sparprogramme und erste Anlagenschließungen zählen zu den Folgen. Was braucht es also, damit die Branche die Wende bis 2045 erfolgreich schafft? Die Kosten für alles, was den klimaneutralen Umbau der Betriebe hemmt, müssten dringend sinken, sagt Belitz. Vor allem Gaspreise, Strompreise und netzausbaubedingte Systemkosten wie Netzentgelte. Und zwar auf Dauer, sodass die Unternehmen Planungssicherheit haben. Zusätzlich müssten die geplanten Back-up-Kraftwerke zügig gebaut und eine umfassende Strategie entwickelt werden, um Strom zu speichern. Der Umbau der Branche kann mit voller Kraft weitergehen – wenn es wettbewerbsfähige Kosten und Versorgungssicherheit gibt. Foto: BASF SE 2024 Foto: Mark Ross – stock.adobe.com 15 14 v i e r 2 0 2 4 KLIMANEUTRALITÄT GRÜN DENKEN

T E X T ELKE BIEBER FOTOS DANIEL ROTH Handeln für den Wandel Der Pflanzenwirkstoff-Hersteller Finzelberg legt für seinen deutschen Standort 2025 eine neutrale Klimabilanz vor. Von Ökostrom bis zum Biomasseheizkraftwerk – wie der Umstieg gelingt Die Geschäftsleitung von Finzelberg hatte sich 2020 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt und hat es erreicht: 2025 für die deutschen Standorte eine neutrale Klimabilanz vorzulegen – und damit schneller voranzugehen, als es das deutsche Klimaschutzgesetz mit dem Zieljahr 2045 vorsieht. Michael Braig, Geschäftsführer des Andernacher Unternehmens, erklärt: „Unsere Extrakte beruhen auf pflanzlichen Rohstoffen, die wir weltweit gewinnen, und in unseren landwirtschaftlichen Lieferketten spüren wir den Klimawandel immer deutlicher. Deshalb handeln wir konsequent im Klimaschutz und zeigen, was heute schon machbar ist.“ Finzelberg ist auf Pflanzenextrakte für die Pharma- und Nahrungsergänzungsmittel-Industrie spezialisiert. Die Endprodukte fördern unter anderem die Konzentration oder die Gelenkfunktionen und sind zum Beispiel als Tabletten oder Instantpulver erhältlich. Extreme Wetterereignisse, so berichtet Braig, wirkten sich seit Jahren auf die Anbaugebiete aus und führten zu schlechteren oder ausgefallenen Ernten. Dies gilt für den Rosenwurz, der in Westeuropa wächst, und für die Beeren der Sägepalmen in Florida, die ein Hurrikan hinwegfegte. Hohe Motivation freigesetzt Das Vorhaben der Geschäftsleitung habe in der Belegschaft viel Motivation freigesetzt. Braig hebt das Engagement von Dietmar Kaiser hervor. Kaiser, der bis zu seinem unerwarteten Tod Anfang 2024 zur Geschäftsleitung gehörte, hatte viele Projekte vorangetrieben. Dies macht es nun möglich, zum 150. Jubiläum des Unternehmens die Klimabilanz der deutschen Standorte Andernach und Sinzig auf null zu bringen. 88 Prozent der standortbezogenen Emissionen hat Finzelberg bis Anfang 2025 reduziert. Das entspricht einer jährlichen Einsparung von mehr als 15.000 Tonnen CO2. Die verbleibenden 12 Prozent gleicht das Unternehmen per Klima-Kompensation aus. Die Klimabilanz gilt für die Bereiche, die in der Fachsprache Scope 1 und Scope 2 heißen. Sie umfassen die Emissionen, die das Unternehmen an den Standorten selbst oder durch eingekaufte Energie verursacht. Die weiteren Emissionen, Scope 3, entstehen entlang der Wertschöpfungskette und sollen bis 2030 ebenfalls auf null sinken. Dies sind vor allem Emissionen aus dem Heilpflanzen-Einkauf. Für dieses Ziel arbeiten Finzelberg und die weiteren Unternehmen des nature networks eng zusammen. Über Finzelberg Die Finzelberg GmbH & Co. KG geht auf Hermann Finzelberg zurück, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Apotheke betrieb. 1875 baute er seine Firma zur Pflanzenwirkstoff-Extraktion auf. Das Unternehmen erzeugt heute rund 800 Produkte aus mehr als 80 Pflanzen für Hersteller von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln. An den Standorten Andernach und Sinzig arbeiten 380 Beschäftigte. Finzelberg gehört zur Unternehmensgruppe the nature network, die mehr als 4.000 Beschäftigte an über 30 Standorten hat. MICHAEL BRAIG, GESCHÄFTSFÜHRER FINZELBERG „Als Hersteller von Naturprodukten spüren wir den Klimawandel immer deutlicher. Deswegen handeln wir schneller als die Politik“ I NFO Grüne Aussichten: Finzelberg- Team im Nutzgarten auf dem Betriebsgelände – Nadine Mohrs, Christoph Roos, Lina Köhn, Wadim Pfaff, Harmandeep Kumm und Michael Winter (von links). Wertvoll: Die Pflanzenkohle aus Produktionsresten bindet Kohlenstoff. v i e r 2 0 2 4 17 VOR ORT GRÜN DENKEN 16

WADIM PFAFF, TEAMLEITER FÜR ENERGIE UND UMWELT FINZELBERG Finzelberg tut einiges, um die Artenvielfalt auf dem Firmengelände zu fördern. Viele Mitarbeiter helfen mit – und profitieren ganz direkt davon „Bis Januar 2025 gelingt es uns, 88 Prozent der standortbezogenen Treibhausgase gegenüber 2020 einzusparen. Das ist ein riesiger Meilenstein. Auf den Weg gemacht haben wir uns schon 2014 – mit unserem systematischen Energiemanagement“ Neun Hochbeet-Teams und 100.000 Bienen Die Hochbeete heißen Schichtsalat, Bohnanza oder Flower-Power. Aus der schwarzen Erde quellen Physalis, Auberginen, Chili und Tomaten. Die Ernte gehört den Mitarbeitenden, die sich um den Obst- und Gemüsegarten auf dem Gelände von Finzelberg kümmern. Und das sind außer den insgesamt neun Hochbeet-Teams noch andere Engagierte, darunter die Azubis. Auch mitgestalten ist erwünscht: Harmandeep Kumm zum Beispiel schlug indische Kürbisse vor, die in Andernach gut gedeihen. Die Idee, mehr Vielfalt auf dem Firmengelände zu schaffen, geht auf Dietmar Kaiser zurück, der bis zu seinem plötzlichen Tod Anfang 2024 Mitglied der Geschäftsführung war. So errichteten Mitarbeiter 2022 zunächst die Hochbeete aus Paletten und Warensäcken. Es entstanden auch mehrere gut besuchte Insektenhotels, beispielsweise für Wildbienen. Auf den Dächern der Raucherzonen und Fahrradunterstände sprießen Fetthenne und Gräser. Die Grünflächen des Betriebsgeländes sind selten gemähte Wiesen mit Schafgarbe und Disteln. Auf einer dieser Wiesen stehen zwei Bienenstöcke mit insgesamt 100.000 Bienen. Imker Hans-Dieter Eschengert aus Andernach kümmert sich um die Tiere. Dazu gehört, sie für den Winter mit Futter – Zuckerwasser – zu versorgen, sie vor Krankheiten wie Varrose oder Faulbrut zu schützen und natürlich den Honig zu ernten, allein in diesem Jahr 40 Kilogramm. Die Einnahmen von 4 Euro pro Glas spendet Finzelberg an den Naturschutzbund. Auch am Standort Sinzig gibt es 100.000 Bienen. Hier pflanzte das Unternehmen zusätzlich 30 Obstbäume. Geplant ist zudem, Teile des Betriebsgeländes zu entsiegeln und zu begrünen, bei weiteren Dächern und bei Neubau-Fassaden zu prüfen, ob dort Pflanzen wachsen können. Die Vorteile: Das Mikroklima bei Finzelberg wird besser und die Flugstrecke der Insekten von Futterstelle zur Futterstelle kürzer. „Insekten sind immens wichtig“, sagt Michael Winter vom Flower-Power-Team. „Ohne Bestäubung würde unsere Nahrungskette gleich am Anfang zusammenbrechen.“ ENGAGEMENT Von mehr Energie-Effizienz bis Biomasseheizkraftwerk Der größte Teil der standortbezogenen Treibhausgasemissionen von Finzelberg entsteht beim Einkauf von Strom und Erdgas und beim Energieverbrauch in den Extraktions- und Trocknungsanlagen. „Seit 2014 haben wir ein Team, das ein systematisches Energiemanagement betreibt und viele Mitarbeitende, die uns mit Ideen und Vorschlägen unterstützen“, berichtet der Teamleiter für Energie und Umwelt Wadim Pfaff. „So konnten wir in zehn Jahren 16.000 Megawattstunden Energie einsparen.“ Das Energiemanagement-Team ermittelte, an welchen Stellen das Unternehmen handeln muss und welche Technologien weiterhelfen. Fördermittel, zum Beispiel von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, trugen zur raschen Umsetzung bei. So beseitigten die Experten Druckluftlecks und installierten eine Mikrogasturbine. Mit eigenen Solaranlagen auf den Dächern und dem Bezug von 100 Prozent Ökostrom stellte Finzelberg konsequent auf erneuerbare Energien um. 2022 nahm ein hocheffizientes Extraktionsgebäude seinen Betrieb auf. Und es geht noch mehr: Anfang 2025 startet ein neues Biomasseheizkraftwerk, das sich aus zertifiziertem Holz der Region speist. Es wird den CO2-Ausstoß um 9000 Tonnen pro Jahr senken. Befeuert wird es mit Laub-Wald-Hackschnitzeln, die aus Bruch- oder Waldpflegeholz aus der Eifel, dem Hunsrück und dem Westerwald stammen. „Für unser Biomasseheizkraftwerk wird kein Baum extra geschlagen“, sagt Wadim Pfaff. Im neuen Kraftwerk entstehen bis zu 80 Prozent der Wärmeenergie für die Extraktproduktion und Gebäudeheizung. „Durch Abluftreinigung vermeiden wir Luftverschmutzung und Gestank“, erläutert er. „Und die Asche kann ein benachbarter Betonhersteller als Beimischung gebrauchen.“ Wasserkraftwerk in Indien Um die verbleibenden 12 Prozent der standortbezogenen Emissionen auszugleichen, unterstützt Finzelberg Bau und Betrieb eines Wasserkraftwerks in Indien mit dem Kauf von Kompensationszertifikaten. Dieses Projekt einer Non-ProfitOrganisation ist nach dem Verified Carbon Standard zertifiziert. Finzelberg hat noch mehr vor: weitere Solaranlagen, Innovationen wie die Verkohlung von Pflanzenabfällen und den Klimaschutz in den eigenen Lieferketten. Die Emissionen in Scope 3 legt das Unternehmen bereits seit 2020 in einer TÜV-zertifizierten Klimabilanz offen. Im nächsten Schritt prüft es die Umsetzung von Projekten mit den Lieferanten seiner Heilpflanzen, um auch die Emissionen in den Lieferketten deutlich zu reduzieren. Michael Braig resümiert: „Die Herausforderungen sind lösbar. Dass wir so weit gekommen sind, sehe ich als Wettbewerbsvorteil, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kunden. Die profitieren von maximaler Effizienz und einer positiven Umweltauswirkung ihrer Produkte.“ Oben: Energie-Experte Wadim Pfaff an den Dampfleitungen des Biomasseheizkraftwerks. Mitte: Effiziente Anlagensteuerung und Stoffkreisläufe sind seit Jahren Teil des Erfolgs. Links: Blick ins Kesselhaus. 19 18 v i e r 2 0 2 4 VOR ORT GRÜN DENKEN

Klimaneutral werden, sich auf dem Weltmarkt behaupten: Der Green Deal und der neue Clean Industrial Deal sollen die EU zu grünem Wohlstand führen. Sandra Parthie, Leiterin des Brüsseler Büros des Instituts der deutschen Wirtschaft, erläutert die Hintergründe Der European Green Deal von 2019 soll die EU bis 2050 klimaneutral machen. Er umfasst Bereiche wie Naturschutz, Verkehr, Gebäude und erneuerbare Energien. Zum Start ihrer neuen Amtszeit im Sommer 2024 kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Clean Industrial Deal an. Er sieht mehr Investitionen in Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung vor. Ein neuer EU-Wettbewerbsfonds soll dabei helfen. Sandra Parthie: Sie ist Leiterin des Brüsseler Büros des Instituts der deutschen Wirtschaft sowie Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und Präsidentin des EWSAFachausschusses Binnenmarkt. Was wird aus dem Green Deal? I N T E RV I EW ELKE BIEBER Worum geht es im Kern beim Green Deal? Es ist dessen Ziel, auf die Klimakrise zu reagieren. Dafür stellt er den Übergang zu einer klimaneutral produzierenden und konsumierenden Wirtschaft auf eine Gesetzesgrundlage. Dies war das bestimmende Thema der Europawahl 2019, und die dann zuständige EU-Kommission hat gehandelt: Das Zwischenziel ist die Senkung der NettoTreibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030 gegenüber 1990. Das Hauptziel ist die Klimaneutralität bis 2050. Wo stehen wir jetzt? Die Welt hat sich seitdem verändert: Durch die Coronakrise haben wir gemerkt, wie abhängig wir von internationalen Just-in-timeLieferketten sind, die im Lockdown nicht funktioniert haben. Das erzeugte einen Paradigmenwechsel, ebenso wie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Dieser zeigte, dass wir uns auf günstige Energie aus Russland nicht verlassen können. Der regulatorische Rahmen des Green Deal hat sich jedoch nicht verändert. Daran müssen wir jetzt arbeiten. Was heißt das in Bezug auf Energie? Zwar haben wir einige Alternativen zu russischem Öl und Gas gefunden. Diese Optionen, etwa Flüssigerdgas, sind allerdings teurer, was die Produktionskosten für europäische Hersteller erhöht. Die Idee des Green Deal war, die Investitionen in fossile Energien zu senken und die in erneuerbare Energien zu steigern. Diese Rechnung geht wegen der unerwartet deutlich gestiegenen Energiepreise nicht mehr auf. Parallel dazu geht der Stromnetzausbau nicht im nötigen Maß voran. Folglich steht zum Beispiel günstiger Windstrom aus Norddeutschland den Unternehmen in anderen Regionen nicht zur Verfügung. Was ist für die Chemieindustrie besonders wichtig am Green Deal? Zum einen ist der Übergang zur Klimaneutralität mit vielen Umstellungen verbunden. Das reicht von der Nutzung erneuerbarer Energien über den Ersatz klimaschädlicher Stoffe bis zur Kreislaufwirtschaft. Zum anderen kann die Chemie anderen Branchen auch Lösungen anbieten, etwa bei der Entwicklung klimafreundlicher Kühlmittel oder beim Recycling. Jetzt ist vom Clean Industrial Deal die Rede … Nach dem derzeitigen Stand ist damit mehr Unterstützung für die Industrie gemeint, um den Übergang zur Klimaneutralität zu schaffen. Zugleich gilt es, an Innovationskraft, Skalierbarkeit der Produkte und an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Europäische Produkte sollen in der EU und auf den internationalen Märkten erfolgreicher werden. Der Bericht des Ökonomen Mario Draghi zur „Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ nennt ein nötiges Investitionsvolumen von 800 Milliarden Euro. Wenn man bedenkt, dass der Jahreshaushalt der EU 190 Milliarden Euro beträgt, wird klar, dass auch nationale und private Gelder fließen müssen. Wie passt das zum Green Deal? Die Vorstellung ist, die Umsetzung der Green-DealVorgaben in der Praxis mit Unterstützungsmaßnahmen zu flankieren, da sich abzeichnet, dass die Transformation nicht so einfach ist und mehr Zeit braucht. Einige Regelungen, etwa zu alternativen Antrieben, könnten sich als zu detailliert herausstellen. Damit der Übergang nicht ganz stockt, sollte die EU im Sinne der Wirtschaft nachjustieren. Wenn das Verbot neuer Verbrennermotoren ab 2035 kippt, was heißt das für diejenigen, die sich bereits auf die E-Mobilität eingestellt haben? Das ist maximal unangenehm. Für langfristige Planungen und Investitionen braucht man Klarheit. Geht man hier hinter bereits gefasste Beschlüsse zurück, stellt sich die Frage, ob dies in anderen Bereichen ebenso passiert. Aber noch hat sich das Europaparlament nicht mit dieser Frage befasst. Klimaschutzkritische Positionen sind dort nun stärker vertreten. Zugleich bedeutet unsere marktwirtschaftlich organisierte EU, dass es eine Vielzahl an Lösungen für klimafreundliche Mobilität gibt. Das unterscheidet uns von China. Wie kommt die EU mit der Kreislaufwirtschaft voran? Wenn ich mir die Analysen aus dem Draghi-Bericht anschaue, gibt es hier gute Erfolge. Demnach haben wir in der EU den Anteil von Sekundärrohstoffen auf ungefähr 25 Prozent des Verbrauchs angehoben. Bei einigen Metallen werden sogar weitaus mehr als 50 Prozent recycelt. In der Förderung neuer Technologien, die zum Beispiel mehr Verbundmaterialien trennen können, liegt viel Potenzial. SANDRA PARTHIE, LEITERIN DES BRÜSSELER IW-BÜROS „Die Chemie kann anderen Branchen Lösungen anbieten, etwa bei der Entwicklung klimafreundlicher Kühlmittel oder beim Recycling“ Was ist was? EU - D E A L S Foto: Kat Ka – stock.adobe.com Foto: EESC (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss) 20 v i e r 2 0 2 4 21 GRÜN DENKEN INTERVIEW

Die Chemieindustrie arbeitet nicht nur selbst daran, klimaneutral zu werden. Sie ist auch elementar dafür, dass andere mit der Energiewende vorankommen. Von Windrädern bis Elektroautos – an vielen Stellen sind Produkte aus der Chemie unabdingbar Unverzichtbar für die Wende T E X T ELKE BIEBER Silizium ist das Herzstück Ob Solarpark, Solarzellen auf dem Dach oder Balkonkraftwerk: Photovoltaik-Anlagen sind eine effiziente Energiequelle. Die Technik ist bewährt, Sonnenlicht jeden Tag verfügbar, und die Solarmodule sind langlebig. Inzwischen gibt es in Deutschland dem Bundesverband Solarwirtschaft zufolge 3,7 Millionen Solaranlagen. Der Ausbau schreitet weiter voran. Das wichtigste natürliche Element für Solarzellen ist das Halbmetall Silizium. Es steckt in Quarzsand. Erst durch aufwendige chemische Verfahren entsteht reines Silizium. Geschützt vor Feuchtigkeit und Co. Die Windkraft war laut Statistischem Bundesamt 2023 mit einem Anteil von 31 Prozent der wichtigste Energieträger für die Stromerzeugung in Deutschland. Ob an Land oder auf dem Meer: Immer mehr Leistung stammt aus den Anlagen, in denen Rotorblätter die Windkraft per Drehbewegung auf einen Generator übertragen. Damit das funktioniert, schützen Lackprodukte aus der Chemieindustrie den Generator vor Materialzersetzung. Silikon-Erzeugnisse verbessern das Wärmemanagement der Generatoren, schirmen vor Feuchtigkeit ab und isolieren stromführende Teile. Auch die Rotorblätter brauchen chemische Mittel, um Wind und Feuchtigkeit zu trotzen. Leistungsfähige Batterien Anfang 2024 rollten dem Kraftfahrt-Bundesamt zufolge 1,4 Millionen batterieelektrische Pkws und 2,9 Millionen Hybrid-Pkws auf Deutschlands Straßen. Inzwischen gibt es fast 100.000 Normal- und mehr als 25.000 Schnellladepunkte. Emissionsfrei Auto zu fahren, ist einfacher geworden. Die Chemieindustrie wirkt an vielen Gliedern der E-Auto-Wertschöpfungskette mit. Dies gilt beispielsweise für die Lithium- Ionen-Akkus: Sie brauchen Kupferfolien für eine hohe Ladedichte. Leichtbaumaterialien, zum Beispiel aus Kunststoff, mindern das Fahrzeuggewicht und tragen damit zu größerer Reichweite bei. Batterie-Recycling hilft wiederum, den Wertstoffkreislauf der Akku-Rohstoffe zu schließen. Klebstoffe für die Windrad-Montage Kleb- und Dichtstoffe von Kömmerling aus Pirmasens sorgen dafür, dass Bolzen unter anderem an der Rotorblattwurzel optimal abgedichtet sind. Auch die Fugen der Betonturmsegmente dürfen keine Feuchtigkeit oder Fremdkörper durchlassen. Zur Montage einer Windanlage gehören daher Anwendungen, die optimal verbinden und dichten. Schmierstoffe für E-Autos Zwar brauchen E-Autos kein klassisches Motoröl. Allerdings bleiben unter anderem für Getriebe, Hydraulik und Radlager Schmierstoffe wichtig. Mehr noch: Durch hohe Drehzahlen und größere Wärmeentwicklung müssen Schmierstoffe in E-Autos besondere Anforderungen erfüllen, etwa optimale Kühleigenschaften. Die Temperierflüssigkeiten (Thermofluide) des Herstellers Fuchs Lubricants sorgen beispielsweise für die Batterie-Direktkühlung. Andere Schmierstoffe schützen das Batteriegehäuse vor Korrosion. Spezielles E-Drive-Öl und Antriebswellen-Gelenkfett sind für hohe Drehmomente geeignet und senken die Temperatur. SOLARSTROM WI NDRÄDE R ELEKTROMOBILITÄT Illustrationen: Carina Braun/ IW Medien 22 v i e r 2 0 2 4 23 GRÜN DENKEN ENERGIEWENDE

Foto: picture alliance/Bernd Weißbrod 1 1,008 Wasserstoff H Grüner Wasserstoff 5,70 € 3,20 € Herkömmlicher Wasserstoff Preis pro Kilogramm Klimaschonende Industrieproduktion Mit grünem Wasserstoff sollen Industriebetriebe klimaneutral produzieren und Gaskraftwerke Strom erzeugen. Zudem soll das Gas Schiffe, Flugzeuge und Trucks antreiben. In der Chemie wird der Bedarf ab Mitte der 2030er Jahre stark steigen, etwa für neue Prozesse. Schon heute nutzt die Branche Wasserstoff, allerdings herkömmlich erzeugten, klimaschädlichen Wasserstoff. Sie produziert damit Ammoniak für Düngemittel, Methanol und Säuren oder nutzt ihn zum Entschwefeln von Rohöl und Hydrieren von Zwischenprodukten. HOHER BEDARF 2030 braucht Deutschland 95 bis 130 Milliarden Kilowattstunden Wasserstoff, schätzt die Bundesregierung. 50 bis 70 Prozent davon wird die Bundesrepublik einführen müssen. Dafür sollen Lieferabkommen mit Staaten wie Australien, Chile, Indien, Kanada, Namibia, Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten geschlossen werden. Bisher gibt es aber erst einen Vertrag für Lieferungen aus Ägypten. Noch hat grüner Wasserstoff den Nachteil, dass er teurer ist als herkömmlich erzeugter Wasserstoff. Im Preisindex „Hydex“ der Beratungsfirma E-Bridge Consulting etwa kostete das Kilogramm grüner Wasserstoff 2023 im Mittel 5,70 Euro. Herkömmlichen Wasserstoff gab es für etwa 3,20 Euro. Experten erwarten aber, dass bessere und in größerer Menge produzierte Elektrolyseure – also die Anlagen, in denen Wasserstoff hergestellt wird – die Kosten von Ökowasserstoff senken. „Die Ziele beim grünen Wasserstoff sind ambitioniert, die Realität ist ernüchternd“, sagt der Regensburger Professor Michael Sterner, Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats. „Der Standort läuft Gefahr, im internationalen Vergleich den Anschluss zu verlieren.“ Von den geplanten 10 Gigawatt Produktionskapazität gibt es bisher lediglich für 0,4 Gigawatt (400 Megawatt) eine Investitionsentscheidung, also nur für einen Bruchteil. Zwar liegt Deutschland mit 154 Megawatt Produktionskapazität in Europa weit vorn. China ist mit mehr als 600 Megawatt aber schon deutlich weiter. Was bremst? Für Betriebe ist es problematisch, ihre Produktion auf eine Technologie umzurüsten, bei der unklar ist, welche Mengen wann verfügbar sind und ob sich das rechnet. Den Wasserstofferzeugern wiederum fehlen feste Abnehmer. Mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm will Sterner fürs Wirtschaftsministerium herausfinden, wie sich Investitionen beschleunigen lassen. Importe sind enorm wichtig Grüner Wasserstoff ist noch teuer Ausbau kommt zu langsam voran Deutschland droht international den Anschluss zu verlieren Aus dem Nahen Osten oder Amerika sollen Tanker den Wasserstoff nach Europa bringen. Laden können die Schiffe das Gas als Flüssigwasserstoff, Ammoniak oder Methanol. Zudem soll Wasserstoff durch Pipelines kommen, aus Portugal/ Spanien, Dänemark und Norwegen. Zu Industriebetrieben und Kraftwerken wird das Gas überwiegend per Pipeline gelangen. Die Betreiber von GasFernleitungen wollen für 18,9 Milliarden Euro ein 9.040 Kilometer langes Kernnetz schaffen. Für zwei Fünftel werden neue Rohre verlegt, für den Rest bestehende Erdgasleitungen genutzt. Bis 2032 soll das Netz fertig sein. Zum Vergleich: Das Erdgasfernnetz ist 40.000 Kilometer lang. Transport per Tanker und Pipelines I MPOR T Pipelinebau: Der Energieversorger EnBW verlegt Rohre für das Wasserstoffnetz. PRODUKTION Foto: Emilija – stock.adobe.com Foto: picture alliance/Fabian Sommer Illustrationen: Freepik Wasserstoff – Hoffnungsträger oder nicht? T E X T HANS JOACHIM WOLTER Wasserstoff soll zusammen mit Ökostrom Deutschland klimaneutral machen. Das Gas soll, so will es die Bundesregierung, den Energieträger Erdgas bis 2045 schrittweise ersetzen. Das soll mit klimaneutralem grünem Wasserstoff geschehen: Er entsteht, wenn Wasser mit Ökostrom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Dieses Verfahren heißt Elektrolyse. Bis 2030 sollen Erzeugungskapazitäten von 10 Gigawatt aufgebaut werden. Damit kann man circa 40 Milliarden Kilowattstunden Wasserstoff im Jahr erzeugen. Wasserstoff soll Erdgas ersetzen Grüner Wasserstoff soll Deutschland helfen, klimaneutral zu werden. Doch bisher ist viel zu wenig davon verfügbar. Woran das liegt und was sich ändern muss LEICHTGEWICHT Wasserstoff ist das leichteste und häufigste Element im Universum. Auf der Erde ist er großteils in Wasser gebunden. In Verbindungen mit Kohlenstoff kommt er in Pflanzen, Tieren und im Körper vor. Sonst gibt es Wasserstoff nur als Gas. Das ist brennbar und lässt sich wie Erdgas verwenden. 24 v i e r 2 0 2 4 25 GRÜN DENKEN DAS ELEMENT

TI PPS & I NF OS F ÜR DE N AL LTAG Müll entsorgen – aber richtig T E X T ELKE BIEBER Abfälle trennen ist enorm wichtig, um Rohstoffe wiederverwerten zu können. Doch was gehört in welche Tonne? Nicht immer stimmt die erste Vermutung. Tipps zur richtigen Entsorgung im Alltag Ressourcen schonen und Emissionen senken – das ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft. Müll sammeln und richtig trennen, statt ihn in Parks liegen zu lassen oder auf eine wilde Müllkippe zu häufen, ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Dabei gilt es, einige Regeln zu beachten. Gelbe Tonne: Konserven ja, Zahnbürsten nein Kunststoff gehört in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack. Dies gilt auch für Konservendosen, Alu und Verbundmaterialien wie Getränkekartons. Gerade bei Alu bringt es der Umwelt besonders viel, das Material zu recyceln, denn die Alu-Gewinnung ist sehr energieintensiv. Nicht in die Gelbe Tonne gehören hingegen Zahnbürsten, Pflaster und Einweghandschuhe. Plastikgetränkekisten oder Rollläden sind Fälle für den Wertstoffhof. Denn sie sind nicht über den Gelben Sack oder die Gelbe Tonne recycelbar. Und: Elektrogeräte gehören in den Elektroschrott, auch wenn sie einen hohen Kunststoffanteil haben. Plastikflut eindämmen: So geht’s Viele Lösungen für die Herausforderung Plastikmüll existieren bereits – Wissenschaft, Unternehmen und auch engagierte Einzelpersonen arbeiten daran, dass er nicht in die Umwelt gelangt. Top-Sortiertechnologien, auch in Kombination mit KI, trennen die verschiedenen Kunststoffarten. Chemische Aufbereitungsverfahren werden immer vielfältiger und effizienter. Und neue, bio-basierte Kunststoffe befinden sich in der Pipeline. Die Doku gibt einen Überblick, der Mut macht. BR-Doku: Kunststoff-Recycling: Wie können wir die Plastikflut eindämmen? ARD-Mediathek (2024), link.wir-hier.de/doku DOKU - T I P P Die über die Gelbe Tonne entsorgten Wertstoffe werden durch Sortieranlagen aufbereitet. Gereinigt und zerkleinert, lässt sich beispielsweise das gewonnene Kunststoffgranulat zu Rohren verarbeiten. Diesen Vorgang nennt man mechanisches Recycling. Stark verunreinigtes Plastik oder Verbundstoffe eignen sich dafür jedoch nicht. Hier hilft chemisches Recycling weiter: Das Material wird in seine chemischen Bestandteile gespalten. Daraus lassen sich sogar neue, hochwertige Produkte herstellen, etwa Outdoorhosen aus Altreifen. Große Mengen gehören nicht in den Restmüll Um zum Beispiel bei einem Umzug Unerwünschtes loszuwerden, gibt es mehrere Optionen: tauschen, verkaufen oder verschenken. Mit verschlissenen Gardinen oder anderen abgenutzten Dingen geht das natürlich nicht. Es gilt: Was nicht in die Tonne passt, kommt auf den Sperrmüll. Bis zu einer bestimmten Grenze, zum Beispiel drei Kubikmeter, holen die Abfallbetriebe alte Möbel und Ähnliches oft kostenfrei ab. Am besten vorher checken, was sie abholen – und ab wann Kosten entstehen. Verklebte Teppiche, große Tapetenmengen und Farbeimer gehören auf den Wertstoffhof. Hier sind auch Bauschutt und Elektroschrott richtig aufgehoben. Ob Smartphone oder Fernseher: Die Höfe nehmen Elektroschrott kostenfrei an. Das gilt aber nicht für alle Müllarten und -mengen, deshalb lohnt, sich vorher zu informieren. Ab in die Gelbe Tonne: Kunststoff, Konservendosen, Verbundmaterialien und Alu gehören zum Beispiel hinein. Foto: photka – stock.adobe.com Foto: photka, nemo1963 – stock.adobe.com v i e r 2 0 2 4 27 RATG E B E R GRÜN DENKEN 26

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