WirHier_magazin_2025-03

Fremde Kultur Zwei duale Studentinnen reisen für sechs Wochen nach China. So bunt ist die Chemie Mehr als 40 Nationalitäten, rund 50 Berufe und mehr spannende Fakten. STÄRKE DURCH DI VERSI TÄT Wir sind viele(s) Die Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz d r e i 2 0 2 5 Q3 ISSN: 2567-2371 Ihre Meinung ist gefragt Fragen beantworten und 50 Euro gewinnen: Wie ist die Stimmung in Ihrem Betrieb?

Foto: Daniel Roth/IW Medien Cooler Mix? Damit aus unterschiedlichen Elementen das gewünschte Optimum entsteht, braucht es viel Know-how. Das gilt auch für das Miteinander im Betrieb. E L K E B I E B E R ist Wir.Hier.- Redakteurin. Für dieses Heft hat sie sich mit den Facetten der Vielfalt in der Chemie befasst, das Unternehmen Prefere Paraform besucht und die Diversifizierung der Chemie- und Pharma-­ Lieferketten unter die Lupe genommen. ED I TOR I A L bei rund 12.000 registrierten Chemikalien, etwa 50 Berufen und mehr als 40 Nationalitäten, die es in der deutschen Chemieindustrie gibt, haben wir es per se mit einem vielfältigen Mix zu tun. Dass sich Menschen mit unterschiedlichen Berufen und mit ihren Eigenarten aufeinander verlassen können, hat hier Tradition. Damit es rund- und sicher läuft in den Anlagen, Laboren und Büros, müssen viele Hände und Prozesse ineinandergreifen. Es kommt auf jeden klugen Kopf an, auf neue Talente und Perspektiven. Nicht immer klappt eine gute Zusammenarbeit von allein. Damit alle Geschlechter, Junge und Ältere sowie internationale Teammitglieder zu guten Ergebnissen kommen, braucht es Akzeptanz und ein konstruktives Miteinander. Viele Unternehmen fördern dies, weil sie darin einen strategischen Vorteil sehen. Zum Beispiel im Wettbewerb um den Berufsnachwuchs ist ein wertschätzendes Arbeitsklima ein großes Plus: Wer die Wahl hat, entscheidet sich eher für ein Unternehmen, das wirklich fair sein will, als für eines, das Menschen nach veralteten Denkmustern beurteilt. Wir zeigen die Gesichter der Vielfalt in rheinland-pfälzischen Chemiebetrieben. Sie erfahren, wie Teams und Unternehmen von offenen Sichtweisen profitieren. Und warum sich Investitionen in Vielfalt auszahlen, ob in Workshops, Kochbüchern oder – ganz ökonomisch gedacht – in Lieferkettendiversifizierung. Viel Spaß beim Lesen! Liebe Leserinnen und Leser, Foto: khamkula – stock.adobe.com Titelfoto: Plume Creative – gettyimages.de; Foto: Joshua Murat Der ganze Text auf Seite 06 „Wir freuen uns riesig auf die Menschen, die neue Umgebung und das Arbeiten in einem ganz anderen Umfeld“ LISANNE GIEHL (RECHTS), DUALE STUDENTIN BEI SEBAPHARMA VOR IHREM BESUCH DER STANDORTE IN CHINA 3 d r e i 2 0 2 5 2 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE EDITORIAL

Illustration: Carina Geiermann STRATEGI E N GEGE N RI SI KEN Stark: Bei Prefere Paraform in Mainz bewegt Kathleen Knecht mit dem Gabelstapler 1.000 Kilogramm schwere Riesensäcke für Schüttgut. 12 24 30 VOR ORT Wie die Unternehmen Röhm, Boehringer und Finzelberg ihre Lieferketten absichern, etwa gegen Hurricanes. 10 Fragen an Sternekoch Benjamin Peifer. Foto: Arslan – stock.adobe.com Foto: Hans Kranich Foto: Joshua Murat Foto: Benedikt Kranz 10 Berufe, Unternehmen, Exporte: Warum Vielfalt ein zentrales Merkmal der Chemieindustrie ist. Inhalt UNSER THEMA BUNTE CHEMIE: WIR SIND VIELE(S) Fremde Kultur Warum Laila Adler und Lisanne Giehl, duale Studentinnen bei Sebapharma, nach China reisen. So bunt ist die Branche Vielfalt ist in der Chemieindustrie in Rheinland-Pfalz extrem wichtig – wie diese Fakten zeigen. Die Macherinnen So arbeiten die Frauen in Logistik & Produktion bei Prefere Paraform, Mainz: ein Vor-Ort-Report. Arbeitswelt Bei Michelin in Bad Kreuznach arbeiten Leute aus 41 Nationen. So entsteht hier Teamgefühl. Interview Zahlt sich Diversity aus? Das sagt Professorin Jutta Rump, Expertin für Trends in der Arbeitswelt. 06 10 12 16 20 Laila Adler (links) und Lisanne Giehl, duale Studentinnen bei Sebapharma, haben sechs Wochen in China verbracht. 06 POR T RÄT Farbpigmente Die Winzlinge machen das Leben bunt. Und das funktioniert so. Lieferketten Was Lieferketten bedroht und wie Unternehmen sie schützen. Ratgeber Der Erste-Hilfe-Kasten für Konflikte in der Belegschaft. 10 Fragen an ... den Spitzenkoch Benjamin Peifer. Quiz Nehmen Sie an unserem Gewinnspiel teil. Umfrage Wie ist die Stimmung bei Ihnen im Betrieb? Jetzt mitmachen und Wunschgutschein gewinnen! 22 24 27 30 31 32 4 d r e i 2 0 2 5 5 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE I NHA LT

Von Boppard nach China T E X T CHRISTINE HAAS, BARBARA AUER FOTOS JOSHUA MURAT Laila Adler und Lisanne Giehl sind duale Studentinnen für Business Administration beim Hautpflegespezialisten Sebapharma. Sie verbrachten jüngst sechs Wochen an den Standorten Shanghai und Hongkong. Was sie dort gemacht und erlebt haben – und was ihnen die Erfahrung bringt Diesmal im Fokus: Zwei duale Studentinnen beim Unternehmen Sebapharma Lust darauf, in einer anderen Kultur zu leben und zu arbeiten: Laila Adler und Lisanne Giehl (von links). d r e i 2 0 2 5 7 GESICHTER DER CHEMIE VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 6

5% Natronlauge Leitungswasser Speichel Bier Seifenlauge Magensäure Verdünnte Salzsäure 0 1 2 3 4 5 13–14 6,5–9,5 6,7–7,4 4,5–5 5,5 8–11 2–4 1 6 7 8 9 1011121314 sauer neutral basisch Quelle: Sebapharma Foto: privat Weiter als 15 Minuten zu Fuß sollte die Wohnung in Shanghai nicht vom Büro entfernt sein. Das ist der wichtigste Rat, den Lisanne Giehl und Laila Adler von einer chinesischen Kollegin bekommen haben. Denn in der Metropole können die Temperaturen im Sommer schon mal über 40 Grad steigen, die Luftfeuchtigkeit ist hoch. „Da ist man sonst schon fertig, wenn man auf der Arbeit ankommt“, sagt Lisanne Giehl. Über eine Buchungsplattform haben sie eine Wohnung gefunden, die nah an der U-Bahn liegt. Giehl, 21 Jahre alt, und Adler, 24, sind duale Studentinnen bei Sebapharma. Das Unternehmen mit Sitz in Boppard am Mittelrhein ist vor allem für medizinische Pflegeprodukte der Marke sebamed mit dem berühmten pH-Wert 5,5 bekannt. Und längst nicht mehr nur in Deutschland, sondern international erfolgreich. Deshalb haben die beiden jungen Frauen die Möglichkeit zu einem aufregenden Auslandsaufenthalt: Sechs Wochen lang arbeiten sie an den ausländischen Standorten mit – erst in Shanghai, dann in Hongkong. Wir.Hier. besucht sie vor der Reise. Und spricht mit ihnen später noch mal per Videocall nach China. Eintauchen in eine ganz andere Kultur Für beide ist es eine außergewöhnliche Chance, Auslandserfahrung zu sammeln und tief in eine andere Kultur einzutauchen. „Ich habe in der Schule schon ein Auslandsjahr in den USA gemacht“, erzählt Laila Adler beim Treffen in der Sebapharma-Zentrale. „Aber China ist jetzt noch mal etwas ganz anderes.“ Lisanne Giehl ergänzt: „Wir freuen uns riesig auf die Menschen, die neue Umgebung und das Arbeiten in einem ganz anderen Umfeld.“ In den vergangenen Wochen haben sie regelmäßig mit Kollegen in China gesprochen, um sich vorzubereiten. China: Großes Interesse an Hautpflege „Made in Germany“ Für Sebapharma ist China ist ein attraktiver Markt. „Medizinische Hautpflege hat dort einen hohen Stellenwert“, erklärt Christian Metzing, Personalleiter des Unternehmens. Sebamed komme mit dem klinisch-weißen Design und dem Siegel „Made in Germany“ sehr gut an. Das Unternehmen produziert ausschließlich in Deutschland. Setzte man früher auf Lohnhersteller, hat Sebapharma 2022 eine eigene Produktionsstätte in Pfalzfeld im Hunsrück gebaut und eine weitere in Norderstedt bei Hamburg übernommen. Vertrieben werden die Produkte von hier aus in rund 100 Länder weltweit. Shanghai und Hongkong sind die ersten Standorte im Ausland; 11 Mitarbeiter arbeiten hier in allen Bereichen von Vertrieb bis Controlling. „Die Kollegen kommunizieren hier ganz anders miteinander“ Wenige Wochen später sind die beiden jungen Frauen schon in Shanghai. Sie sitzen vor einem Monitor, das laute Hupen eines Mofas vor dem Fenster lässt erahnen, wie groß der Trubel in der 30-Millionen-Metropole ist. Im Videocall berichten Giehl und Adler von ihren Eindrücken. „Wir haben teilweise Menschenmassen gesehen, wie wir sie noch nie erlebt haben“, erzählt Adler. Und Giehl beschreibt: „Im Arbeitsalltag kommunizieren die Kollegen ganz anders miteinander als wir Das Unternehmen Sebapharma Die Erfolgsgeschichte der Sebapharma beginnt im Jahr 1967: Heinz Maurer gründet die sebamat GmbH in Boppard-Bad Salzig, die das erste seifenfreie Waschstück mit dem hautfreundlichen pH-Wert 5,5 auf den Markt bringt. Heute vertreibt die Vertriebsgesellschaft Sebapharma mit rund 440 Mitarbeitern knapp 170 Produkte weltweit unter den Markennamen sebamed, tensimed und TESTAmed. Mehr als 400 klinischdermatologische Studien belegen die konsequente Umsetzung des Gründerziels „Wissenschaft für gesunde Haut“. Der pH-Wert unserer Haut liegt zwischen 4,5 und 6,0. Das heißt, unsere Haut ist leicht sauer. Der leicht saure pH-Wert hält die Barrierestrukturen in der äußersten Schicht der Oberhaut stabil und unterstützt deren Regeneration. Außerdem erhält er das ökologische Gleichgewicht des Hautmikrobioms, also der Gesamtheit aller auf der Haut lebenden Mikroorganismen. pH ist die Abkürzung für lateinisch: potentia hydrogenii, was übersetzt Wasserstoffionenkonzentration bedeutet. Alles, was wasserhaltig ist, inklusive unserer Körperflüssigkeiten, hat einen pH-Wert zwischen 0 und 14. HINTERGRUND dachten.“ Die Kollegen seien ganz direkt, man übe auch mal Kritik, ohne dass jemand sich angegriffen fühlen muss. Die Arbeit der beiden hilft auch Kollegen Adler analysiert in China, wie Schnittstellen zwischen den kulturellen Unterschieden in Deutschland und China geschaffen werden können: „Um ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, wie die jeweils andere Kultur so tickt“, erklärt sie. Giehl beschäftigt sich damit, wie sich das Marketing noch besser mit dem in Deutschland abstimmen lässt. „Potenzielle Kunden müssen wir hier viel mehr über E-Commerce und Social Media ansprechen als in Deutschland“, sagt Giehl. „Wir können aber Synergie-Effekte finden, darum kümmere ich mich.“ In Shanghai besichtigen die beiden auch ein großes Lager, in dem die unbedruckten Sebamed-Flaschen, die aus Deutschland geliefert werden, für den chinesischen Markt bedruckt und verpackt werden. Duales Studium als idealer Ausbildungsweg Adler ist begeistert von ihrem dualen Studium: „Als ich damals davon gelesen habe, klang das wie der Jackpot für mich.“ Sie findet es ideal, das theoretische Wissen von der Uni mit der Ausbildung in einem Unternehmen verbinden zu können, dessen Produkte sie seit ihrer Kindheit kennt. Auch Giehl schätzt die Marke sebamed schon lange. „Als ich nach Unternehmen geschaut habe, die ein duales Studium anbieten, war ich von Sebapharma sofort überzeugt“, sagt sie. Nicht zuletzt wegen der Möglichkeit zum Auslandsaufenthalt. Den organisiert und finanziert das Unternehmen sogar. Giehl und Adler haben in China auch in ihrer Freizeit schon viel erlebt – zum Beispiel die Wasserstadt Zhujiajiao besichtigt, einen idyllischen alten Ort. Giehl: „Es gab hier auch schon einen Taifun mit riesigen Regenmassen.“ Ob positive oder negative Erlebnisse – ihre Erfahrungen werden den beiden künftig im Arbeitsleben helfen, auch mit ungewohnten Situationen zurechtzukommen. Der pH-Wert LAILA ADLER (RECHTS IM BILD) „In China ist die Kommunikation zwar teilweise schwierig, aber die Menschen sind sehr hilfsbereit“ Lisanne und Laila vor dem Oriental Pearl Tower in Shanghai. Lisanne und Laila vor ihrer Abreise: 9 8 d r e i 2 0 2 5 GESICHTER DER CHEMIE VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE

Illustration: Carina Geiermann Mittelstand ca. 225 Beschäftigte BASF ca. 112.000 Beschäftigte Start-up < 12 Beschäftigte 5 Exporte in mehr als ... Von kleinen Start-ups bis zu riesigen Konzernen Fast registrierte chemische Substanzen 12.000 In der Branche gibt es rund 50 Ausbildungsberufe. Neben den Chemikanten- und Laborberufen gehören auch Kaufleute, Software-, Technik- und Logistikprofis dazu. Was viele nicht wissen: Sogar Fachkräfte für Lederherstellung und Gerbereitechnik und auch Köchinnen und Köche sind in der Chemie wichtig, obwohl es sich hier um traditionelle Handwerksberufe handelt. Die Unternehmen brauchen solche Talente zum Beispiel beim Anwenden von Lederchemikalien und in den Betriebskantinen. Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie ist eng mit Europa verwoben: Die Hälfte der Exporte geht in EULänder, weitere 14 Prozent in andere Länder Europas wie die Schweiz und Großbritannien. Die Top-3-Abnehmerländer waren 2024 die USA (Exportwert: rund 38 Milliarden Euro), die Niederlande (rund 20,5 Milliarden Euro) und China (rund 11 Milliarden Euro). Besonders stark wuchsen die Exporte von 2021 bis 2024 in diese Länder: Japan (+ 57 Prozent), USA (+ 42 Prozent) und Mexiko (+ 26 Prozent). Die Chemie-, Kunststoff- und Kautschukindustrie in Rheinland-Pfalz ist mittelständisch geprägt, während für die Pharmaindustrie größere Unternehmen typisch sind. Es gibt gewaltige Größenunterschiede: BASF mit weltweit rund 112.000 Beschäftigten sowie Boehringer mit rund 54.000 Beschäftigten sind globale Akteure. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl beträgt bei rheinland-pfälzischen Chemieunternehmen 225. Startups, etwa das 2024 preisgekrönte Healthcare-Unternehmen Medea Biopharma aus Ludwigshafen, beginnen oft mit weniger als einem Dutzend Talenten. Viele chemische Stoffe sind bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA registrierungspflichtig. Das heißt: Unternehmen müssen Substanzen ab einer gewissen Menge oder bei einem bestimmten Gefährdungspotenzial melden. Dies schreibt die Chemikalien-Richtline REACH vor. Sie soll nach dem Vorsorgeprinzip sicherstellen, dass Hersteller, Importeure und Anwender die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nicht gefährden. Mit 3 4 In Deutschlands Chemie- und Pharmaunternehmen arbeiten Menschen aus mehr als 40 Nationalitäten zusammen. Wie der Bundesarbeitgeberverband Chemie und das Statistische Bundesamt melden, bilden türkische Kolleginnen und Kollegen die zweithäufigste Nationalität nach der deutschen. Auch Italien, Polen und Rumänien sind recht zahlreich vertreten. Insgesamt steigt der Anteil der internationalen Beschäftigten leicht, spürbar zum Beispiel durch den Zustrom von Menschen aus der Ukraine. 1 11.856 gemeldeten Substanzen steht Deutschland an der Spitze der REACH-Länderstatistik. Zum Vergleich: Frankreich ließ 5.950 Substanzen registrieren, in den Niederlanden waren es 4.647. Island bildet mit 17 Substanzen das Schlusslicht. Die am häufigsten registrierte Chemikalie ist übrigens der Alkohol Ethanol mit seinen Kombinationen. Er wird unter anderem in Biokraftstoffen und als Lösemittel benötigt. Exporte der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie Nach Zielregionen Quellen: VCI, Statistisches Bundesamt * Top-Zielland * Brasilien * China * Südafrika * Australien 14,8 % 2,6 % 1,7 % 0,8 % Asien Lateinamerika Afrika Australien/Ozeanien * USA 16,8 % Nordamerika * Niederlande 63,4 % Europa 2 70Länder Starke Mischung T E X T ELKE BIEBER Unterschiedliche Nationen, Berufe, Unternehmen: In der Chemie- und Pharmaindustrie in Rheinland-Pfalz ist Vielfalt extrem wichtig. Fünf Beispiele Nationalitäten Berufe 40+ 50 Illustration: Freepik – pch.vector Illustration: Freepik – Kateliusto Illustrationen: Freepik 10 d r e i 2 0 2 5 11 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 5 BEISPIELE AUS DER BRANCHE

Ob auf dem Gabelstapler, im Kesselhaus oder an der Chemie-Anlage – bei Prefere Paraform machen Frauen ihre Jobs mit Verantwortung und Teamgeist. Drei Beispiele für ungewöhnliche Karrieren und neue Ideen Dass Kathleen Knecht, 41, mal per Gabelstapler Big Bags – Riesensäcke für Schüttgut – mit einem Gewicht von 1.000 Kilogramm bewegen würde, hat sie sich als Jugendliche nicht träumen lassen. Obwohl: Neugierig auf spannende Berufe mit viel Abwechslung, zum Beispiel bei Polizei oder Bundeswehr, war sie schon damals. Ob sie die einzige Frau im Team sein könnte, spielte dabei keine Rolle. Bei Prefere Paraform in Mainz ist sie eine von insgesamt sechs Logistikprofis. Dort produziert das Unternehmen unter anderem aus Methanol verschiedene Derivate wie Formaldehyd und Folgeprodukte wie das Granulat Paraformaldehyd und Hexamethylentetramin für die industrielle Nutzung. Die Erzeugnisse gehen in Anwendungen wie Gummiprodukte, Lacke und Stahlveredelung. Im Betrieb arbeiten 145 Beschäftigte. In der gesamten PrefereGruppe mit 15 Standorten in Europa, den USA und Indonesien sind es insgesamt circa 750 Mitarbeitende. Die einzige Frau im Team Zu Kathleen Knechts Aufgaben gehört es, den Technikern Material aus dem Magazin auszuhändigen, dem Lager für Reparatur- und Verbrauchsgüter. Von der kleinsten Schraube bis zum meterlangen Rohrstück findet sie routiniert die benötigten Teile. Zudem nimmt sie die Lkws in Empfang, die Rohstoffe und Verpackungsmaterial in Säcken und Big Packs anliefern. Es gilt, diese Gebinde abzuladen und an ihren Bestimmungsort zu bringen. Die Trucker staunen oft nicht schlecht, wenn sie sehen, dass das eine Frau macht. Knecht nimmt’s mit Humor: „Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Und die Späße mit den Fahrern sind die schönsten Momente im Arbeitsalltag.“ Sicherheit geht vor Was die schwere Fracht angeht, betont sie: „Man hebt das niemals selbst.“ Für Muskelübungen sind diese Güter nicht geeignet. „Sicherheit geht immer vor“, sagt die gelernte Fachkraft für Lagerlogistik. Nicht auf Schnelligkeit kommt es an, sondern auf sorgfältiges Prüfen und vorsichtiges Verladen. Knecht ist seit 15 Jahren in ihrem Beruf. Als Nächstes möchte sie den LokführerKATHLEEN KNECHT, LOGISTIKPROFI „Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Und die Späße mit den Fahrern sind die schönsten Momente im Arbeitsalltag“ Frauen in Logistik und Produktion T E X T ELKE BIEBER FOTOS HANS KRANICH d r e i 2 0 2 5 13 PRODUKTION UND LOGISTIK VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 12

Illustration: Tartila – stock.adobe.com TINA SAUER, KESSELWÄRTERIN Gut ein Viertel der ChemieBeschäftigten und etwa die Hälfte der Pharma-Beschäftigten sind we ibl i ch „Am Anfang haben die Männer uns noch die Tür aufgehalten. Und neue Kollegen sind anfangs etwas distanziert. Das legt sich schnell“ Durchschnittlich ist etwa jeder dritte Mitarbeitende in der chemischen und pharmazeutischen Industrie eine Frau – der Anteil ist etwas niedriger in der Chemie (26 Prozent) und etwas höher in der Pharmaindustrie (48 Prozent). Um den Frauenanteil zu erhöhen, fördert die Branche gezielt die Rahmenbedingungen: etwa durch flexible Arbeitszeiten, verlässliche Kinderbetreuung und eine familienfreundliche Unternehmenskultur. Außerdem gibt es Unterstützung druch Mentoring und Frauennetzwerke. Frauen sind nach der Statistik des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) vor allem im Produktionsbereich unterrepräsentiert. Auch in vielen MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist der Frauenanteil weiterhin gering. Ungerechtigkeiten auf dem Lohnzettel gibt es nicht! In der Chemieindustrie werden Gehälter sowie funktions- und tätigkeitsbezogene Zulagen per Arbeitsbewertung festgelegt. Dabei stehen die Anforderungen der Position im Fokus – ganz unabhängig von persönlichen Merkmalen wie dem Geschlecht. ZAHL EN schein bei Prefere Paraform machen. Denn auf dem Betriebsgelände gibt es eigene Eisenbahnen, um die Kesselwagen mit Formaldehyd zu transportieren. „Eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe“, sagt sie. Und eine passende. In ihrer Freizeit fährt Knecht Motorrad. Ihre Kawasaki Z650 ist deutlich schneller als die Prefere-Paraform-Loks. Sicherheit in Technik, Know-how und Ausrüstung sind ihr im Job ebenso wichtig wie in der Biker-Kluft. Der Vater machte Mut: Chemikantin? Die Idee! Einen coolen Beruf lernen und sich dann weiterentwickeln: Das ist auch der Weg der beiden Chemikantinnen Tina Sauer und Anna Wölfel-Juretzko. Tina Sauer, 47 Jahre alt, hatte den Ausbildungstipp von ihrem Vater, Chemikant von Beruf, erhalten („Das ist die Idee!“). Ihre Kollegin Anna (41) hatte sich im Berufsinformationszentrum umgeschaut, den Beruf entdeckt „und durchgezogen“. Vor zwei Jahren qualifizierten sich beide zu Kesselwärterinnen weiter. Diese Weiterbildung ist wertvoll für alle Prozesse: Denn die große Industriedampfkessel-Anlage, für die sie zuständig sind, stellt das Herz des Mainzer Werks dar. Sie verbrennt Produktionsabluft zur Energiewiedergewinnung. Zugleich dient der Dampf dem Beheizen der chemischen Prozesse und der Eigenstromerzeugung. Oben: Die Kolleginnen Tina Sauer (links) und Anna Wölfel-Juretzko beim Schichtwechsel. Unten: Anlagen und chemische Prozesse zu checken, ist für Chemikantin und Kesselwärterin Anna Wölfel-Juretzko Teil der täglichen Aufgaben. Wer diese Anlage bedienen kann – wie Sauer und Wölfel-Juretzko –, ermöglicht allen anderen das Arbeiten. Ein typischer Arbeitstag, das heißt für die beiden Frauen: Kontrollgänge drinnen und draußen machen, die Produktion vorbereiten, anfahren und regeln, Proben ziehen, die Anlagen und das Verladen der fertigen Erzeugnisse überwachen. Sie arbeiten im Schichtbetrieb, was für sie gut funktioniert. „Die Nachtschichten werden zur Gewohnheit“, berichtet Sauer. „Man hat mehr frei“, sagt Wölfel-Juretzko, „und muss sich keinen Urlaub für Erledigungen nehmen.“ Ihr Privatleben ist mit Herzensaufgaben verbunden: Anna Wölfel-Juretzko widmet sich ihrem sechsjährigen Sohn Noah. Tina Sauer verbringt viel Zeit mit ihrer Fuchsstute Mary. Gegenseitige Hilfsbereitschaft ist gerade im Schichtteam wichtig Ein Schichtteam umfasst in aller Regel drei Teammitglieder: eine Person für den Stellraum (eine Spezialeinrichtung für die Lagerung von Chemikalien), eine für die Anlagen und eine für die Kessel. Das Schichtteam arbeitet zudem mit Technikern wie Elektrikern und Mechatronikern zusammen. Alles Männer. „Am Anfang haben sie uns noch die Tür aufgehalten“, sagt Sauer. „Und neue Kollegen sind anfangs etwas distanziert. Das legt sich schnell.“ Gegenseitige Hilfsbereitschaft, meinen die beiden, stehe bei der Zusammenarbeit im Vordergrund. Nach mehr als 20 Jahren im Beruf können sie auf viel Erfahrung zurückblicken. Schichtführerin zu werden, wäre für die zwei langjährigen Chemie-Profis ein attraktives neues Berufsziel. Frauen in Chemie und Pharma Wie viel man verdient, ist in der Chemieindustrie per Tarifvertrag geregelt. Mehr dazu hier: 15 14 d r e i 2 0 2 5 PRODUKTION UND LOGISTIK VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE

Foto: Michelin LIESA RAUCHHAUS, EMPLOYEE EXPERIENCE MANAG E R I N Über Michelin In Bad Kreuznach betreibt das Unternehmen Michelin seinen größten Fertigungsstandort in Deutschland. Das Reifen-Werk ist mit seinen kompetenten, flexiblen Teams und hoch technisierten Fertigungsanlagen ein Vorbild im Michelin-Weltkonzern. Michelin ist eines der erfolgreichsten Mobilitätsunternehmen der Welt und Vorreiter in Sachen Innovation und Nachhaltigkeit. Seit der Geburtsstunde des Unternehmens im Jahr 1889 treibt Michelin die weltweite Mobilität voran: Mit Reifen über Services und Dienstleistungen bis hin zu Reise-, Hotel- und Restaurantführern. Das Unternehmen setzt auf die Kraft diverser Teams und hat die Arbeitgebenden-Initiative „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Fotos: Michelin (2) Ob aus Italien, Südamerika oder der Türkei: Internationalität gehört beim Unternehmen Michelin am Standort Bad Kreuznach dazu. Liesa Rauchhaus arbeitet dort – und ist richtig stolz drauf. „Meine Kollegen hier kommen aus 41 unterschiedlichen Nationen“, erzählt sie. Die 42-Jährige beschäftigt sich seit ein paar Monaten als „Employee Experience Managerin“ unter anderem damit, wie die Vielfalt im Unternehmen noch weiter verbessert und genutzt werden kann. Die bunte Belegschaft mit insgesamt über 1.400 Beschäftigten produziert hier Autoreifen der verschiedensten Größen und Typen. Rauchhaus selbst ist seit 2009 bei Michelin. Zuvor hat sie lange in der Teamentwicklung gearbeitet – und festgestellt: „Je unterschiedlicher die Teammitglieder sind, desto größer die Dynamik, die in einer Gruppe entstehen kann.“ Das gesamte Unternehmen mit seinen weltweit fast 130.000 Mitarbeitern setzt auf Vielfalt: um ein förderliches Umfeld für neue Ideen aus mannigfaltigen Starkes Team aus 41 Nationen Liesa Rauchhaus fördert bei Michelin in Bad Kreuznach die Vielfalt. Einige Mitarbeitende hier haben zum Beispiel ein buntes Kochbuch mitgestaltet, mit Köstlichkeiten aus den verschiedensten Ländern. Wie das Unternehmen noch für Diversity sorgt – und warum Perspektiven zu schaffen. Denn das regt Innovationen an, so die Überzeugung der höchsten Management-Ebene. Die Kollegen besser kennenlernen Ausdruck dieser Philosophie ist zum Beispiel ein Kochbuch, dass die Mitarbeitenden in der Michelin-Region „Europa Nord“ gemeinsam erarbeitet haben. Alle waren aufgerufen, ein ganz persönliches Rezept einzureichen. Daraus wurde ein Buch mit Gerichten beispielsweise aus Schweden, Marokko und vielen anderen Ländern, von der herzhaften Yağlama (einer Art türkischen Lasagne) bis zum schwedischen Coconut Cake. Das Besondere an diesem Buch ist: Zu jedem Rezept gibt’s auch Infos und ein Foto zu der jeweiligen Person, die es beigesteuert hat. „Das gibt dem Buch gleich eine persönliche und emotionale Note“, beschreibt Rauchhaus. Beim Diversity-Tag im Mai wurde das etwa 140-seitige Kochbuch für 10 Euro an mehreren Michelin-Standorten verkauft – natürlich auch in Bad Kreuznach. „Die Nachfrage war riesig“, freut sich Rauchhaus. Den Erlös spendet Michelin an die Tafeln. Führungskräfte lernen, unvoreingenommen zu sein Für Führungskräfte gibt es spezielle Schulungen, damit sie möglichst unvoreingenommen arbeiten: zum Beispiel bei der Bewerberauswahl und bei Kundenkontakten. Sie lernen unter anderem, unbewusst vorhandene Denkschablonen bei sich selbst zu erkennen. Und in Sachen Inklusion arbeitet Michelin mit dem inklusiven Karriereportal „My Ability“ zusammen: Es unterstützt das Unternehmen aktiv bei der Suche nach Mitarbeitenden mit Behinderungen. Am Standort Bad Kreuznach gibt es Arbeitsbereiche, in denen Kollegen mit gesundheitlichen Einschränkungen leichtere Arbeitsbedingungen haben. Michelin ist Unterzeichner der Arbeitgebenden-Initiative „Charta der Vielfalt“ (mehr dazu auf Seite 19) – und hat sogar ein Diversity Committee: Das beLinks: Verkauf des Kochbuchs mit Mitarbeiter- Rezepten beim Diversity-Tag. Unten: Viele Kollegen sind stolz auf das gemeinsame Werk. T E X T BARBARA AUER d r e i 2 0 2 5 17 DIVERSITY IM UNTERNEHMEN VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 16

„Wir öffnen unsere Tore und zeigen Frauen die Produktion und unsere Arbeitsplätze“ LIESA RAUCHHAUS, EMPLOYEE EXPERIENCE MANAGERIN Rundgang durchs Werk in Bad Kreuznach: Hier produzieren die insgesamt etwa 1.400 Mitarbeiter Autoreifen. Beim Women Recruiting Day bekommen Frauen ein spannendes Programm und können hinter die Kulissen blicken. steht aus 20 Mitgliedern unterschiedlicher Nationen und steuert sämtliche Aktivitäten zum Thema. Zum Beispiel auch das Projekt „Frauen in Motion“, das den Einstieg in gewerbliche Berufe für Frauen erleichtern soll. In Bad Kreuznach engagiert sich die Arbeitsgruppe „Women in Industry“ für alle Anliegen der Kolleginnen in den verschiedenen Produktionsbereichen. Damit beschäftigt sich Liesa Rauchhaus zurzeit sehr intensiv: „Denn leider ist der Frauenanteil bei uns hier in der Produktion noch sehr niedrig. Das wollen wir unbedingt ändern.“ Dazu gab es zum Beispiel schon mehrfach einen FrauenRecruitingtag im Werk. „Wir öffnen unsere Tore und zeigen Frauen die Produktion und unsere Arbeitsplätze.“ Da gibt es einiges zu sehen, denn die Reifenproduktion in Bad Kreuznach deckt einen Großteil der Prozesskette ab, von der Mischungsfertigung bis zur Qualitätsprüfung. Und hier arbeiten übrigens auch alle Altersklassen Hand in Hand: Vom 16-jährigen Azubi bis zu den erfahrenen Älteren, von denen einige schon seit 50 Jahren dabei sind. Manifest für mehr Offenheit Die „Charta der Vielfalt“ ist Deutschlands größte Arbeitgeber-Initiative zur Förderung von Vielfalt in der Arbeitswelt. Sie wurde im Jahr 2006 gegründet. 6.500 Unternehmen und Institutionen haben sie inzwischen unterzeichnet Cawa Younosi, Geschäftsführer der „Charta der Vielfalt“, im Aktions-Shirt zum DIversity-Tag 2025. INITIATIVE d r e i 2 0 2 5 19 CHARTA DER VIELFALT • Der Verein repräsentiert 14,7 Millionen Arbeitnehmende, in Rheinland-Pfalz zum Beispiel bei BASF, Boehringer Ingelheim und Röhm. • Die Unternehmen zeigen damit, dass sie sich für ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einsetzen. Sie fördern Vielfalt in den Dimensionen Alter, Migrationsgeschichte und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft. • Auch der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) zählen zu den Unterzeichnern – sie haben als erste Sozialpartner schon im Jahr 1989 Grundsatzpositionen zur Chancengleichheit vereinbart und seitdem noch viele weitere Vereinbarungen getroffen. • Cawa Younosi, der Geschäftsführer der „Charta der Vielfalt“, sagt: „Gerade jetzt braucht es den Mut, sich klar zu positionieren.“ Mit Blick auf den Kampf des US-Präsidenten Donald Trump gegen Diversity ergänzte er: „Wer Vielfalt nur lebt, solange sie bequem ist, hat sie nicht verstanden.“ • Laut dem Verein hilft Vielfalt zum Beispiel dabei, Beschäftigte zu gewinnen und zu binden, weil sie sich als eigene Persönlichkeiten mehr geschätzt fühlen. Sie sorge oft für mehr Ideen und innovativere Lösungen. Organisationen mit großer Diversität hätten auch größere Chancen, neue Märkte zu erschließen. • Jedes Jahr veranstaltet die „Charta der Vielfalt“ den Deutschen Diversity-Tag: Unternehmen nutzen ihn, um sich für Vielfalt stark zu machen, zum Beispiel mit Aktionen am Arbeitsplatz. Der nächste Diversity-Tag ist am 19. Mai 2026. Foto: picture alliance / SZ Photo | Lorenz Mehrlich VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 18

DI VERS I TÄT ALS VORTEI L SO WIRKT DIVERSITY # 1 # 2 Zahlt sich Diversity für Unternehmen wirtschaftlich aus? Es gibt zwar keine Studie, die einen allgemeinen Nutzen in Euro und Cent nachweist. Dafür ist Vielfalt zu komplex. Wenn man aber in die Tiefe geht und einzelne Dimensionen von Diversity untersucht, kann man deren Nutzen durchaus belegen. Hier gibt es eine ganze Reihe von Studien. Zum Beispiel dazu, dass geschlechter- oder altersgemischte Führungsteams sich positiv auf den strategischen Erfolg auswirken. Oder dass in internationalen Unternehmen eine interkulturelle Belegschaft hilfreich für den Unternehmenserfolg ist. Woran können Unternehmen einen Erfolg messen? Unternehmen können beispielsweise analysieren, wie lange offene Stellen unbesetzt sind und wie viele Bewerberinnen und Bewerber sie haben, und daraus ableiten, ob sie nach Einführung einer DiversityMaßnahme als Arbeitgeber attraktiver geworden sind. Oder mit einer Mitarbeitendenbefragung herausfinden, ob sich das Teamklima verbessert hat. Wichtig ist aber: Diversity bringt erst etwas, wenn ich auch ein Diversity-Management-Konzept habe und umsetze. Was ist das genau? Es geht um klar definierte Ziele und bestimmte Werte, die man in Handlungsmuster für die gesamte Belegschaft überführt. Es ist wie in einer Demokratie: Die braucht auch Regeln – einen verbindlichen Rahmen, an den sich alle halten. Was kostet die Förderung von Vielfalt? Es geht preiswert und teuer. Ein erster Schritt kann einfach schon eine vielfaltsfreundliche Haltung von Arbeitgeber und Betriebsrat sein. Aber wenn es darum geht, die Mitarbeitenden zu sensibilisieren, braucht man zum Beispiel Workshops. Die können zum Beispiel thematisieren, wie Babyboomer und Generation Z voneinander profitieren. Das gibt es nicht zum Nullkostentarif. Setzen Mittelständler und kleine Unternehmen solche Maßnahmen trotzdem um? Viele mittlere und kleinere Unternehmen gießen das Thema eher nicht in umfangreiche Konzepte mit eigenen Internetseiten. Da wird Vielfalt oft einfach im Alltag gelebt. Denn wenn man sich besser kennt, hört man automatisch anders zu und hat weniger Vorurteile. Ist es für jedes Unternehmen ein Muss, etwas dafür zu tun? Das würde ich schon sagen. Allein schon deshalb, weil es der Zeitgeist ist, auf die Individualisierung der Belegschaften zu achten. Denn die haben wir nun mal. Ein Beispiel von vielen ist die Arbeitszeit: Jeder Beschäftigte möchte heute sein eigenes Modell. Und da haben wir es schon, das Thema Vielfalt. Im Grunde geht es darum, Individualisierung zu managen. Ich als Unternehmerin würde das allerdings auch lieber Individualisierung nennen als „Diversity“. Was ist am Begriff „Diversity“ so schlecht? Zurzeit ist er mit Stereotypen behaftet und teilweise sogar negativ besetzt. Insbesondere wenn man im internationalen Geschäft tätig ist. Blicken wir mal in die USA: Die Regierung dort hat der Diversität und Inklusion ja den Kampf angesagt. Ja, das hat für Empörung gesorgt. Welche Folgen hat das für uns, wird Europa etwa nachziehen? Das kann ich mir schwer vorstellen. Interkulturalität ist bei uns in Europa ein sehr wichtiges Thema, weil es hier auf engem Raum viele Sprachen und Kulturen gibt. Und in Deutschland haben wir auch noch die demografische Entwicklung, die für alternde BelegDie Förderung von Diversity kostet Unternehmen Geld. Doch welchen Nutzen hat sie genau? Professorin Jutta Rump, Expertin für Trends in der Arbeitswelt, erklärt, wie sich Erfolge messen lassen – und warum der Begriff Diversity Tücken hat I N T E RV I EW BARBARA AUER Mit dem Nutzen verschiedener Aspekte von Diversity haben sich einige Studien beschäftigt. Hier zwei Beispiele: Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) hat herausgefunden: Für die Hälfte der in einer Studie befragten Unternehmen hat die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund nach ihrer Wahrnehmung einen positiven Effekt auf die eigene Arbeitgeberattraktivität. Und eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt: Je höher die Altersdiversität in der Belegschaft ist, desto wahrscheinlicher bringt ein Unternehmen Innovationen hervor. schaften und Fachkräftemangel sorgt. Frauenerwerbstätigkeit, Generationen und Alter werden bei uns also zwangsläufig wichtige Themen bleiben. Was raten Sie Unternehmen, die Diversity bisher vorangetrieben haben? Ich würde sie unbedingt weiterverfolgen. Denn wenn Sie über Jahre kommuniziert haben, dass das Thema strategisch wichtig ist, und jetzt zurückrudern: Jeder würde sich doch fragen, ob das alles nur Worthülsen waren. Natürlich – wenn die Belegschaft in den USA oder anderswo dadurch Repressalien erfährt, muss sie geschützt werden. Aber ansonsten würde ich als Unternehmen sagen: Durch so einen Sturm müssen wir jetzt durch. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Außerdem ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) ebenfalls in Ludwigshafen. Sie forscht unter anderem zu Trends wie Digitalisierung, Diversität und Wertewandel und ist in zahlreichen Gremien auf Bundes- und Landesebene sowie in der Wirtschaft aktiv. Zur Person Wie Vielfalt sich auszahlt Foto: IBE/ Wegener 20 d r e i 2 0 2 5 21 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE DIVERSITÄT UND IHRE WIRKUNG

O O Ti DAS WICHTIGSTE PIGMENT PRODUKTION Foto: tahmina – stock.adobe.com Die machen das Leben bunt T E X T BARBARA AUER Pigmente sind Feststoff-Teilchen, die für eine optimale Wechselwirkung mit dem Licht sehr klein sind – teilweise sogar im Nano-Bereich (ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter). Mit Pigmenten werden zum Beispiel Farben, Lacke und Kunststoffe eingefärbt. Im Gegensatz zu Farbstoffen sind Pigmente im Anwendungsmedium nicht löslich. Es gibt Hunderte verschiedene Pigmente. Zum Beispiel Eisenoxid: Damit zeichneten Menschen schon 35.000 Jahre vor Christus Figuren und Tiere an Höhlenwände. Pigmenthersteller wie Sun Chemical entwickeln laufend neue Pigmente. Zum Beispiel, um die Eigenschaften der Winzlinge zu verbessern. Pulver aus FeststoffTeilchen Winzige Teilchen sorgen dafür, dass es auf der Welt eine riesige Farbvielfalt gibt: Pigmente. Doch was sind sie genau und wie funktionieren sie? Die Pigmentproduktion in Deutschland ist nach Auswertungen des Verbands der Mineralfarbenindustrie in den letzten Jahren zurückgegangen – von rund 1,6 Millionen Tonnen im Jahr 2020 auf etwa 1,2 Millionen Tonnen 2023. Gründe seien eine Nachfrageschwäche und Standortprobleme wie hohe Bürokratie- und Energiekosten. „Im Moment scheint es eine leichte Erholung zu geben, wenn auch auf niedrigem Niveau“, schildert Pigment-Expertin Anne Thüsing. Ein Hoffnungszeichen: Laut Prognosen von Marktforschungsunternehmen wird die weltweite Nachfrage nach Pigmenten in den kommenden Jahren steigen, unter anderem wegen der wachsenden Textilindustrie. Mehr als eine Million Tonnen Das am häufigsten verwendete Pigment ist Titandioxid. Es hat den höchsten Weißgrad – das heißt, es sorgt für ein sehr helles Weiß und lebendige Farben in Pigmentmischungen. Jährlich werden mehrere Millionen Tonnen produziert, zum Beispiel für Kunststoffe und Lacke, aber auch für Kosmetika. Bis Anfang 2022 war Titandioxid auch ein Lebensmittelzusatzstoff. Doch dann entbrannte eine Debatte darüber, ob es gesundheitsschädlich ist. Heute ist es für Lebensmittel in der EU verboten. Derzeit untersuchen Forscher, ob es schädlich ist, Nanopartikel von Titandioxid einzuatmen. Verbraucher müssen sich aber keine Sorgen machen. Pigment-Kennerin Thüsing erklärt: „Es reicht völlig aus, beim Hantieren mit Titandioxid-haltigen Farben die üblichen Arbeitsschutz-Vorkehrungen zu treffen.“ Das heißt: eine Maske tragen, wenn Sprühnebel oder Schleifstaub entsteht. Titandioxid in Kosmetik ist ohnehin unbedenklich, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung mitteilt: „Über die Haut wird es nicht aufgenommen.“ Titandioxid Diese dünnen Plättchen, die BASF produziert, bestehen aus reinem Titandioxid und sind in vielen Kosmetikartikeln wie Lipgloss oder schimmernden Cremes zu finden. Die Herstellungsverfahren sind sehr unterschiedlich. Das Schwarz-Pigment Carbon Black beispielsweise wird durch die thermische Zersetzung von Kohlenwasserstoffen zu Kohlenstoffpartikeln gewonnen. Viele Pigmente entstehen durch Fällungsreaktionen aus Metallsalzen: Als Fällung bezeichnet man das Abscheiden eines gelösten Stoffes aus einer Lösung. Die meisten Pigmente werden am Ende gemahlen und nachbearbeitet. So werden die Teilchen hergestellt Pigmente sind Bestandteile von Farben und Lacken. Und werden auch zum Einfärben etwa von Textilien, Kunststoffen und Kosmetika genutzt „Neben den koloristischen Eigenschaften spielen bei vielen Pigmenten auch ihre technischen Eigenschaften eine Rolle“, erklärt Anne Thüsing, Referentin beim Verband der Mineralfarbenindustrie, einem Fachverband im Verband der Chemischen Industrie. So geben bestimmte Pigmente Materialien eine zusätzliche Funktion. Beispiel IR-Reflektion: Spezielle Pigmente können dafür sorgen, dass sich dunkle Autos oder Fassaden in der Sonne weniger aufheizen. Von Kunststoffen bis zu Kosmetika Foto: David Kreuzberg, kilimanjaro – stock.adobe.com Foto: BASF VERWENDUNG Foto: BASF Foto: kilimanjaro – stock.adobe.com 22 d r e i 2 0 2 5 23 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE FARBPIGMENTE

Foto: Boehringer Ingelheim In Chemie und Pharma ist der Weg vom Rohstoff zur Endkundschaft komplex. Es gilt, die Lieferketten gegen Risiken wie Zollkrieg und Dürren breiter aufzustellen. Hier erklären Fachleute, wie das geht Was versteht man unter Lieferketten? Mit kühlem Kopf auf Zollschocks reagieren Diversifizierung macht Lieferketten robuster, kostet aber auch Geld Lieferketten absichern: Darum ist es wichtig T E X T ELKE BIEBER Die Zollpolitik der USA schockierte die weltweiten Handelspartner. Die im Juli getroffene Vereinbarung mit der EU sorgte in der Chemiebranche für wenig Begeisterung. Doch immerhin: „Eine weitere Eskalation konnte vermieden werden“, wie der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große-Entrup, kommentierte. Auf Wachsamkeit ohne Spekulationen setzt Jesus Soto, Leiter des Lieferkettenmanagements & Strategie bei Boehringer Ingelheim: „Wir überwachen aktuelle Trends, bereiten uns proaktiv auf verschiedene Szenarien vor und definieren mögliche Maßnahmen, wenn die Fakten uns zeigen, dass es Zeit zum Handeln ist.“ Die Lieferkette, das sind alle Etappen vom Rohstoff bis zur Endkundschaft. In der Chemie- und Pharmabranche sind diese Schritte international stark verzweigt. Das heißt: Der Ablauf von Importen, Weiterverarbeitung, Export, Re-Import und Endproduktion erstreckt sich über viele Ländergrenzen hinweg. Zölle sind da sehr hinderlich. Und sie stellen nicht das einzige Risiko dar. Auch Kriege, Naturereignisse, Lockdowns, Zulassungsvorschriften und blockierte Verkehrswege beeinflussen Lieferketten. Jesus Soto von Boehringer Ingelheim betont: „Unser Hauptziel ist es, unsere Patienten zuverlässig zu versorgen, unter allen Umständen.“ Nicht einmal in der Pandemie habe es Probleme mit der Lieferfähigkeit gegeben. Die Gründe für diese Liefergarantie: ein ausgefeiltes Risikomanagement, sorgfältige Situationsanalysen, die Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern sowie Back-up-Standorte. Auch die Kosten unterliegen regelmäßigen Checks. Denn die Medikamente dürfen trotz all dieser Maßnahmen nicht so hochpreisig werden, dass Erkrankte sie sich nicht mehr leisten können. Diversifizierung von Lieferketten, das heißt: sie breiter aufzustellen, um Störungen auszugleichen. Das setzt Investitionen voraus und kann Produkte verteuern. Jasmina Kirchhoff, Pharma-Expertin im Institut der deutschen Wirtschaft, erklärt: „Gerade der Preisdruck auf bestimmte Medikamente hat dazu geführt, dass sich die Herstellung nach Asien verlagert hat. Dies wiederum macht die Lieferkette sensibler.“ Ein Ausweg sei das Multi-Shoring, bei dem Unternehmen auf Zulieferer aus verschiedenen Regionen setzen, etwa auf Lateinamerika als Alternative zu Asien. Im Unterschied dazu bezieht sich das Multi-Sourcing nicht auf verschiedene Regionen, sondern auf mehrere Lieferanten oder Extra-Produktionskapazitäten aus derselben Region. So bezog das Andernacher Unternehmen Finzelberg die Heilpflanze Rosenwurz unter anderem aus Russland, begann aber schon vor JESUS SOTO, BOEHRINGER INGELHEIM „Unser Risikomanagement hat Aspekte wie Geopolitik, Transportwege, Verfügbarkeit, Cybersicherheit und aktuelle Ereignisse im Blick. Danach richtet sich, für welche Märkte wir mit welchen Partnern was produzieren“ 20 Jahren, sie in Mitteleuropa anzubauen. „Ziel war es, die Abhängigkeit aus einer Lieferquelle zu reduzieren und die natürlichen Ressourcen zu schützen“, berichtet Jürgen Zimmermann, Leiter des Lieferkettenmanagements. „Der UkraineKrieg hat uns gezeigt, dass dies in Bezug auf die Versorgungssicherheit die richtige Entscheidung war.“ Allerdings: Nicht immer findet das Abnehmerunternehmen jeden Diversifizierungsschritt gut, erläutert Zimmermann. Zulassungsbestimmungen schränken die freie Auswahl der möglichen Herkunftsländer zunächst ein. Neue Lieferanten müssen entsprechend qualifiziert werden – das kostet. Und sind Pflanzen-Sammel- oder Anbaugebiete zum Beispiel durch den Klimawandel bedroht, so lassen sich neue Gebiete nur in Abstimmung mit den Abnehmern erschließen: „Man muss den Kunden mit ins Boot holen“, sagt Zimmermann. Zur Diversifizierungsstrategie zählen auch die Transportwege. So greift der Wormser Spezialist für Methacrylatchemie, Röhm, auf Bahn, Straße und kombinierte Verkehrswege zurück, wenn der Rhein zu wenig Wasser führt. „So sichern wir die kontinuierliche Versorgung auch unter schwierigen Bedingungen“, sagt Michael Pryka, Leiter des Lieferkettenmanagements bei Röhm. Für Unternehmen kommt es zudem auf eine vorausschauende Lagerhaltung an, um Ausfälle abzufedern. „Wenn Sie einen Rohstoff nur aus einer einzigen Region beschaffen können, brauchen Sie unbedingt einen Puffer“, sagt Jürgen Zimmermann. Die Sägepalmenfrüchte aus den USA sind für Finzelberg so ein Fall. Hurricanes können die Ernten vernichten. Darum hat das Unternehmen immer einen ausreichend hohen Sicherheitsbestand. Foto: kasto – stock.adobe.com d r e i 2 0 2 5 25 LIEFERKETTEN VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE 24

Foto: Finzelberg Lieferkettendiversifizierung: Was geht nicht, was geht? Riegelt sich ein wichtiges Land wie die USA mit Zollschranken und Markthürden ab, könnte die Präsenz vor Ort ein Vorteil sein. IW-Expertin Jasmina Kirchhoff schränkt jedoch ein: „Einen neuen Produktionsstandort aufzubauen, dauert für ein Pharmaunternehmen etliche Jahre und ist teuer. Dafür braucht es Planungssicherheit. Diese existiert in den USA im Moment nicht.“ Großbritannien hat bereits im Frühjahr den Zollstreit mit den USA weitgehend beigelegt. Von dort aus könne man den Marktzugang zu den USA durchaus stabilisieren, meint Kirchhoff. Die EU verfolgt überdies schon länger das Ziel, die Zusammenarbeit mit Dritten zu stärken. Dazu zählen Handelserleichterungen mit lateinamerikanischen Ländern durch das Mercosur-Abkommen oder Vereinbarungen mit Japan und Kanada. Der VCI begrüßt dies: „Zur Diversifizierung von Handelsbeziehungen werden bilaterale Abkommen wichtiger.“ Zugleich sollte die EU-Zusammenarbeit enger werden, meint Expertin Kirchhoff. Schon jetzt finden die meisten Im- und Exporte der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie innerhalb des Binnenmarktes statt. Dabei bleiben die USA als Partnerland von Bedeutung. Um den notwendigen Handelsfrieden zu sichern „kann uns die Stärkung der EU nur helfen“, resümiert Kirchhoff. JÜRGEN ZIMMERMANN, FINZELBERG „Die Diversifizierung der Lieferkette gibt es in aller Regel nicht zum Nulltarif. Bei solchen Entscheidungen muss man den Kunden mit ins Boot holen“ Lieferketten der Chemie- und Pharmaindustrie: Was bedroht sie, was macht sie stark? Diversifizierung: Handelsabkommen, Multi-Shoring (mehrere Lieferländer), MultiSourcing (mehrere Lieferanten), Partnerschaften, Vorratshaltung, Verkehrskonzept Die zahlreichen Prozessschritte der Chemie- und Pharma-Lieferkette können sich mehrmals wiederholen und finden über viele Ländergrenzen hinweg statt. Darum müssen Unternehmen sie gegen Risiken absichern. Risiken: Handelsstreit, Kriege, Lockdowns, Abhängigkeiten, Wetterextreme & Klimawandel, blockierte Verkehrswege International verarbeiten Rohstoffe beschaffen Vorprodukte exportieren Endprodukte herstellen Endprodukte an Endabnehmer ausliefern Zwischenprodukte re-importieren Endprodukte an Zwischenabnehmer ausliefern Icons: Freepik 26 VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE Keine Chance für Unfrieden Wie können Konflikte vermieden werden? Wir.Hier. sprach darüber mit dem Sozialpsychologen Michael Niehaus. Er beschäftigt sich bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit dem Wandel der Arbeitswelt Diversität wird groß geschrieben in den Betrieben. Steigt damit auch das Konfliktpotenzial? Dazu muss man zunächst sagen, dass Diversität eigentlich schon immer da war. Es ist völlig normal, dass in den Belegschaften unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten. Entscheidend ist: Wie gehen Unternehmen damit um? Davon hängt es ab, ob es Reibungsverluste durch Konflikte gibt – oder ob die Vielfalt fürs Unternehmen als Vorteil genutzt werden kann. T E X T BARBARA AUER Illustration: Oleg – stock.adobe.com MICHAEL NIEHAUS, SOZIALPSYCHOLOGE Foto: BAUA d r e i 2 0 2 5 27 KONFLIKTE LÖSEN

Schwieriger Kollege – was tun? Wichtig ist, Ruhe zu bewahren und sich nicht provozieren zu lassen. Meinungsverschiedenheiten sind nicht grundsätzlich schlimm – man muss nicht immer der gleichen Ansicht sein. Wenn Kollegen schlechte Laune haben: am besten versuchen, das zu ignorieren. Doch manchmal ist es damit nicht getan, zum Beispiel, wenn das Verhalten des Kollegen anderen oder dem Unternehmen schadet. Dann ist es ratsam, das Gespräch zu suchen und die eigene Sicht der Dinge zu schildern – möglichst ohne direkte Vorwürfe. Wenn das nichts bringt, sollte man sich an den Vorgesetzten wenden. Wen kann ich einschalten? Kollegen sollten zunächst versuchen, Konflikte untereinander zu lösen. Wenn das nicht gelingt, ist erster Ansprechpartner die Führungskraft. Denn Chefs haben die Aufgabe, Vorbilder und Schlichter zu sein. Sie müssen einschreiten, sobald ein Konflikt zu eskalieren droht. Auch der Betriebsrat ist eine mögliche Anlaufstelle. In vielen Unternehmen gibt es Gleichstellungsbeauftragte, um bei Diskriminierung einzuschreiten. Wie Chefs moderieren, erklärt das Bundesarbeitsministerium: Vorurteile – was tun? Es hilft gegen Vorurteile, offene Gespräche zu fördern. Ein guter Weg ist, für mehr Austausch und Kennenlernen zwischen verschiedenen Gruppen zu sorgen. Mitarbeiter, die das nicht selbst veranlassen können, können der Personalabteilung entsprechende Maßnahmen vorschlagen. Hilfe – es wird gelästert! Wenn über Kollegen gelästert wird, deutet das auf ungelöste Konflikte und Grüppchenbildung hin. Lästern kann für Betroffene sehr belastend sein und in Mobbing münden. Wer Zeuge von Lästereien wird, sollte vermeiden, sich zu beteiligen. Lieber klare Grenzen setzen und das offene Gespräch suchen – oder auch den Vorgesetzten einschalten. Warum sollte ich zur Lösung beitragen? Konflikte verursachen dem Unternehmen Kosten, zum Beispiel durch niedrigere Produktivität: Das belegen Studien. Und sie bewirken auch, dass Teams weniger erfolgreich sind und die Motivation sinkt. Eventuell steigt sogar die Krankenquote. Deshalb ist es im Interesse aller, wieder Harmonie herzustellen. Konflikte, die sich festsetzen, können in Mobbing enden. Wie Mobbing entsteht und verhindert werden kann, erklärt hier die Berufsgenossenschaft BGW: Was ist zur Lösung eines Konflikts am wichtigsten? Am wichtigsten ist, miteinander zu sprechen. Dabei ist es besser, Ich-Botschaften zu verwenden als Vorhaltungen in Du-Form. Zum Beispiel: „Ich wünsche mir, dass du mir mehr Informationen gibst“, statt: „Du hast mir Informationen vorenthalten.“ Erste Hilfe für Konflikte Konflikte gehören zum Arbeitsleben dazu. Doch es ist wichtig, mit ihnen konstruktiv umzugehen und Eskalationen zu vermeiden. Dafür hat Wir.Hier. einen Erste-Hilfe-Koffer zusammengestellt Woran erkenne ich einen Konflikt? • Kollegen sprechen nicht mehr miteinander. • Sie äußern sich negativ übereinander oder zeigen ablehnende Körpersprache. • Mitarbeiter ignorieren Anweisungen. • Kollegen reagieren aggressiv und provozieren Streit. Dann ist es höchste Zeit, den Konflikt aktiv zu lösen! 1 2 3 4 RATGE B E R 5 6 Konflikte werden oft durch Vorurteile ausgelöst. Woher kommen sie? Eigentlich ist es für uns alle normal, mit Vorannahmen durch die Welt zu gehen. Wichtig ist aber, dass man diese Annahmen selbst hinterfragt und Raum dafür gibt, einen Kollegen kennenzulernen. Damit für pauschale Stereotype kein Platz ist, muss jeder Einzelne dafür sensibilisiert sein, dass grundsätzlich jeder Mensch anders ist. Das kann der Arbeitgeber unterstützen. Wenn es zum Beispiel in einer Belegschaft Stereotype für ganze Gruppen gibt, wie „die Türken“ oder „die Deutschen“, dann sollte die direkte Führungskraft versuchen, diese Denkmuster aufzubrechen. Wo fängt Ausgrenzung an? Ausgrenzung fängt sehr niederschwellig an. Zum Beispiel, wenn Kollegen das Gefühl haben, nicht zu ihrer sexuellen Orientierung stehen zu können. Wenn Ausgrenzung konkret wird – zum Beispiel durch verbale Angriffe: An wen können Mitarbeiter sich wenden? An die direkte Führungskraft. Eine zweite mögliche Anlaufstelle ist der Betriebsrat. Häufig gibt es auch Gleichstellungsbeauftragte, die sich um solche Probleme kümmern. Wie können Betroffene ihre Position stärken? Arbeitgeber sind verpflichtet, Vorwürfen nachzugehen. Denn sie haben eine Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten. Allerdings ist es oft schwierig, Ausgrenzung nachzuprüfen. Da ist es von Vorteil, wenn Betroffene solche Vorfälle dokumentieren: zum Beispiel, indem sie Notizen machen. Rücksichtnahme ist wichtig. Aber wer muss eigentlich auf wen Rücksicht nehmen? Klar ist beispielsweise, dass man auf Kollegen mit Behinderungen und Einschränkungen Rücksicht nimmt, oder solche mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen. Das heißt aber nicht, dass andere, denen man es nicht gleich anmerkt, keiner Rücksicht bedürfen. Deshalb ist es wichtig, die verschiedenen Bedarfe im Team transparent zu machen und nachvollziehbar zu regeln. Führungskräfte müssen darauf ein Auge haben – und auch um Verständnis werben. Illustrationen: Freepik 29 28 d r e i 2 0 2 5 KONFLIKTE LÖSEN VIELFALT IN DER WELT DER CHEMIE

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